Der Tag war schwül, ich durstig und das „Murphy’s“-Schild verlockend. Gleich hinter der Tür schmeckte ich den Rauch. Er waberte aus der hintersten Ecke durch den Schankraum; nicht der dünne, beißend chemische Rauch modischer Light-Zigaretten, es waren die tief hängenden, schweren Schwaden einer stumpf-süßen Zigarre, die allein jede Feinstaub-Diskussion überflüssig machten. In diesem Moment kamen mein Stout und Ärger in Form der Gewerbeaufsicht zeitgleich an die Theke. Grußlos zog der Ärger eine Kette mit einer laminierten Ausweiskarte aus dem T-Shirt-Ausschnitt. Er hielt ihn der Barfrau kurz vor die Nase, ließ ihr nicht mal Zeit, die Pupillen scharfzustellen.
„Dies ist ein Raucherlokal. Personen unter 18 dürfen sie nicht hereinlassen. Wo ist der Hinweis?“
Die Frau hinter der Theke deutete auf ein selbst gedrucktes Schild neben der Tür, aber jetzt legte er erst richtig los: „Wo ist die Tafel mit der Deklaration der Zusatzstoffe? Wo hängt die aktuelle Ausgabe des Jugendschutzgesetzes? Und in Raucherlokalen darf kein Essen zubereitet werden. Was ist das da?“
„Limettenscheiben für die Drinks.“
„Das sind Lebensmittel, die werden Sie wegwerfen müssen. Und die Türe nach draußen bleibt geschlossen, damit die Passanten nicht durch Ihren Rauch belästigt werden. Sie können ja einmal in der Stunde stoßlüften.“
In diesem Moment stand ich in Zigarrenrauch, einer richtigen Wolke, undurchsichtig und beinahe greifbar. Sie haute mich fast um.
„Ich würde Sie gern was fragen,“ brummte eine tiefe Stimme neben mir und stieß dabei noch mehr Rauch aus. „Vielleicht können Sie mir ja erklären, für wen das Jugendschutzgesetz in einem Lokal aushängen soll, das niemand unter 18 betreten darf?“
„Das ist Vorschrift!“
„Eine der sinnvollsten, da bin ich sicher. Wann haben Sie übrigens das letzte Mal so richtig herzhaft in eine Limette gebissen?“
„Also das geht Sie doch wohl kaum was...“
„Sollten Sie auf jeden Fall mal versuchen, die sind richtig lecker, machen regelrecht süchtig. Und in welchem Gesetz steht denn, dass ich überall zum Rauchen vor die Tür muss, aber dieselbe Tür geschlossen zu bleiben hat, wenn sie in eine Raucherkneipe führt? Die Stelle würde ich von Ihnen gern mal gezeigt bekommen.“
„Sind Sie hier überhaupt zuständig?“
„Bloß ein interessierter Bürger. Lassen Sie mich Ihren Ausweis auch mal sehen?“
Der Ärger drehte sich um, sagte der Frau hinter dem Tresen, er käme baldigst wieder und wolle dann die Aushänge sehen. Dann verschwand er.
Und während ich mich noch fragte, ob der Auftritt wohl zur Erlebnis-Gastronomie gehörte oder ich möglicherweise grad eine missglückte Schutzgelderpressung miterlebt hatte, grummelte der Mann neben mir: „Ich glaube nicht, dass es das schon war. Ich würde die Schilder bald besorgen, zumindest den Jugendschutz und die Zusatzstoffe.“
Und damit war er auf dem Weg zurück in seine Ecke.
„Werd' ich machen, danke Dir,“ sagte die Barfrau, „was kann ich Dir bringen?“
„Einen schönen Whiskey Rye und leg ‚I shot the sheriff’ auf,“ kam als Antwort aus der Ecke.
Fehlt nur noch das schmutzige Glas, dachte ich.
Gelassen erklärte die Frau in meine Richtung: „Das ist der Heinz,“ während sie eine Flasche mit dem Jim-Beam-Schriftzug auf einem knatschgelben Label aus dem Regal nahm, „normalerweise wohnt der hinten in der Ecke und kritzelt bloß auf seinem Block herum.“
Und dann brachte sie ihren Mund so nah an mein Ohr, dass ich die Stöße ihres Atems spürte und ein Schauer meinen Hals herunterlief: „Das mit der Musik und dem Getränk macht er, weil er unter Synästhesie leidet.“
Wollten die mich auf den Arm nehmen? Ich suchte die versteckte Kamera, fand keine, sah sie scharf an: Sie schien das tatsächlich ernst zu meinen.
Ich brauchte dringend das nächste Bier. Hoffentlich aus einem sauberen Glas.
Ich brauchte dringend das nächste Bier. Hoffentlich aus einem sauberen Glas.