14.06.14

football's moving out


Die letzten Tage bestanden aus brüllender Hitze hier und katastrophalen Unwettern mit Verletzten und Toten nicht allzu weit entfernt. Im Moment warteten wir darauf, dass das Gewitter kam. Ich saß vor meinem Stout und wartete auch, als dieser Mann hereinkam und ein Bier bestellte. Ende zwanzig, seine Frisur hätte Princess Di begeistert, dazu ein sauber rasierter Bart, ein großes Kassengestell auf der Nase, das Halstuch lose, beige Bermudas und Springerstiefel. Aber vor allem schleppte er eine Pappkiste: sehr lang, sehr breit, sehr schmal. Es stand groß 'Sony' drauf. Und '144 3d oled curved'.
Und während Mellie ihre verschiedenen Biere anpries, hörte ich etwas ganz Seltenes. Ein Kratzen und ein unrhythmisches Schlurfen und dann stand er da, schaute und rauchte. Im Stehen war der Heinz doch kleiner als erwartet.
"Was soll das denn darstellen?" Mit der Zigarre zwischen den Fingern deutete er auf das Paket.
Der Mann aus dem Zirkus folgte seinem Finger betont desinteressiert: "Fernseher."
"Aha." Langsam und aufmerksam umkurvte ihn der Heinz. "Was kann der?"
Die Antwort kam mit einem genervten Blick: "Man kann damit fernsehen."
Der Heinz rauchte ruhig weiter:"Und dieses ganze Zeug, das da draufsteht?"
Jetzt hatte er die volle Überheblichkeit des Eindringlings herausgefordert: "Ist groß und  zeigt 3D."
Der Heinz nickte: "Für die WM?"
Schulterzucken.
"Schon einen neuen Grill besorgt?"
Der Blick, der ihn traf, sprach Bände.
"Naja, ein neuer Fernseher zum Preis eines gut ausgestatteten Gebrauchtwagens, flache, organische LEDs simulieren ein gebogenes 3D-Bild, da freut sich die Designer-Kassenbrille. Aber Junge, Du brauchst die Komplettausstattung. Du brauchst alles, was grad Werbezeit in Anspruch nimmt. Stell Dir vor, Du wärst Schrebergärtner und willst die Parzellen-Nachbarn beeindrucken. Wenn Du nicht machst, was alle machen, ist es doch nicht ironisch..."
Keine Antwort.
"Hast Du Dir schon einen Tag frei genommen?"
"Warum das denn?"
Der Heinz verdichtete seine Feinstaubwolken und nickte bestätigend: "Na, wenn die deutsche Mannschaft erst mal aus der WM raus ist, wollen alle ihre neuen Fernseher wieder umtauschen. Da werden die Warteschlangen in den Elektromärkten endlos."
Verärgertes Stirnrunzeln, schneller Griff ans Bier und runter damit. Der Fernsehbesitzer legte Geld auf den Tresen, schnappte seinen Fernseher und ging, ohne zu antworten.
"Ja," sagte der Heinz in seinen Rücken, "das war schon bei Sonya Kraus das Problem: Wenn man nicht verstanden hat, worüber man sich lustig macht, funktioniert Ironie einfach nicht."
Als sich die Tür schloss, war der Heinz schon wieder auf dem Weg in seine Ecke: "Mellie, hast Du eigentlich Tri-Top? Und einen englischen Roger Whittaker, vielleicht 'River Lady'?"

20.05.14

drum prüfe, wer sich ewig bindet...

Das Wetter wurde sommerlich, die Sonne schien, der Biergarten war gut besetzt. Aber mich kratzte das nicht. Ich belagerte den Tresen und wartete auf ein Stout. Der Geruch deutete daraufhin, dass der Heinz seine Ecke bewohnte. Als hätte es nie ein Rauchverbot gegeben.
"... und dann muss man diese neuen Handys davor halten, und die sagen einem dann, was es kostet oder was da drin ist. Ohne so ein Dingen erfährst Du doch gar nichts mehr. Was glauben die eigentlich, wer sich sowas leisten kann?"
Der Mann an der Bar war mir eindeutig unbekannt, aber genauso eindeutig empört.
"Naja," tönte es aus des Heinzens Ecke, "die selbst ernannten 'Kreativen' wollen mit der Wahl des Mediums die Zielgruppe bestimmen."
"Was?"
"Die Werbegeier wollen zahlungskräftige Kunden einer bestimmten Schicht und glauben, sie mittels ihrer Smartphones identifizieren zu können."
"Und was hat das mit mir zu tun?"
"Na Dich wollen sie nicht als Kunden."
"Weil ich kein so modernes Handy habe?"
"Weil Du zu alt bist, weil Du kein Geld für ein Smartphone hast, weil Du Dich nicht damit auseinandersetzen willst oder einfach nur, weil sie glauben, dass Du nicht mehr in die Zeit und in ihren Kundenkreis passt."
"Frechheit!"
"Und? Willst Du jetzt noch bei denen kaufen?"
"Nicht, wenn ich es vermeiden kann!"
Was dann passierte, hielt ich für ein Lachen. Oder sowas Ähnliches. Es war tief und es verstaubte die Innenluft: "Siehst Du, ein klassischer Fall von selbsterfüllender Prophezeiung. Du hast Dich genauso entschieden, wie sie es wollten. Wenn Du bei ihnen kaufst, sinkt das Image ihrer Ware. Wenn Du ihre Produkte benutzt, überlegen sich die jungen, hippen, finanzstarken Käufer, ob sie diese Produkte überhaupt wollen.
Okay, Waren kannst Du verweigern, aber was machst Du mit Deiner Regierung?"
"Wieso?"
"Weil die Regierung inzwischen selbst diese Codes benutzt. Gesundheitsminister Gröhe nutzt die Dinger zum Kennzeichnen fair getradeter Waren. Die kannst Du nur noch mit Smartphone und einer App erkennen."
"Die interessieren mich doch gar nicht!"
"War klar. Aber es nimmt zu. Bald wirst Du nicht mehr wählen können, weil die Slogans auf den Wahlplakaten nur noch mit der App zu erkennen sind."
"Ich wähle doch nicht wegen der Sprüche auf den Wahlplakaten!"
"Na, da hat die Demokratie ja noch mal Glück gehabt." Eine neute Wolke verbreitete sich aus der Ecke über den Raum. "Aber auf den Wahlplakaten steht sowieso nichts über Gen-Mais, Griechenlandrettung für die Banken oder das geheime Freihandelsabkommen mit den USA. Sollten sie jetzt noch die vollständig uneitlen und ungeschönten Porträts unserer Regierenden in QR-Codes umsetzen, würden die Plakate deutlich kleiner."
"Und?"
"Zumindest würden die Pappköppe den Verkehr nicht mehr so behindern." Nächste Wolke. "Im Gedenken an unsere Kryptographen sollten wir einen Club-Mate-Tee trinken und etwas Zwölfton-Musik hören."
"Krypto-Was? Und Tee fasse ich nicht an!"
Ich grinste und bestellte noch ein Stout.

04.02.14

La Statue


Endlich hatte ich wieder Gelegenheit, tiefenentspannt über ein Stout nachdenken zu können. Aber da war ja nicht bloß der Geruch nach Zigarren, sondern ...
"Warum können sie sie nicht einfach zufrieden lassen?"
Und ich hatte mich auch schon gefragt, was die kühlschrankblonde Fünfzigjährige ausgerechnet in der kleinen Kneipe wollte; die Eisschorle vor ihr hatte dabei wohl nur untergeordnete Bedeutung - ich kannte die Weinkarte. Außerdem, bei der Menge Eis hätte ihr Wein auch mit Flusssäure verlängert sein können. So war sie nur jemand, den das Schicksal vorbei geschickt hatte, um dem Heinz die Möglichkeit zu geben, seine Anmerkungen zum Weltgeschehen anbringen zu können:
"Moralisch? Du liebe Güte, jemand der sich jahrzehntelang ein ums andere Mal zum moralischen Maßstab macht, warum sollte man dem nicht auch ein paar ebenso jahrelange persönliche Bereicherungen nachsehen?"
"Das ist doch der reinste Rufmord!"
"Rechtlich? Rufmord wäre es, wenn es sich um Verleumdungen oder Gerüchte handeln würde. Dem ist nicht so."
"Die Medien hätten das Thema gar nicht aufgreifen dürfen!"
"Medial? Aufgabe der Medien ist es, relevante Dinge darzustellen. Steuerhinterziehung und öffentliche Personen gehören dazu. Alle Fakten sind klar und eindeutig."
"Sie hat sich selbst angezeigt, hat ihre Schulden bezahlt und damit sollte doch Ruhe sein."
"Sozial? Sie hat einen Ausweg benutzt, der Reichen die Möglichkeit bietet, sich aus einem bereits erfolgten Vergehen nachträglich herauszukaufen und das für weniger, als es sie gekostet hätte, wenn sie für die ganze Zeit Steuern gezahlt hätte und nicht nur für die geforderten zehn Jahre."
"Aber so muss man doch wirklich nicht mit ihr umgehen."
"Menschlich? Es sind die Folgen ihres Fehlverhaltens, natürlich sind die unangenehm."
"Frau Schwarzer hat eine eine Lebensleistung erbracht. Das macht man doch vollkommen kaputt, so geht man mit dem Hoeneß doch auch nicht um."
"Sportlich? Mit dem vorbestraften Rummenigge und dem Tränentier Hoeneß, der seinen Prozess erwartet, ist der FC Bayern inzwischen doch sowieso eine kriminelle Vereinigung, Mafia light. Da würde unsere Preisträgerin des 'stupid white man' ehrenhalber gut hineinpassen. Haben die beiden nicht auch ein Bundesverdienstkreuz? Vielleicht machen sie ihr ja noch ein Angebot, dass sie nicht ablehnen kann: Im Vorstand wären diese Leistungsträger unter sich."
Der Heinz zog an seiner Zigarre: "Tut mir leid, wenn das Denkmal für die unbekannte Feministin gefallen ist. Immerhin hat sie diesmal tatsächlich was für die Gleichberechtigung getan: Sie gezeigt, dass Frauen doch nicht die besseren Menschen sind."
Die Kühlschrankblondine wandte sich frustriert ihrer Eisschorle zu.
"Mellie, zur Feier des Tages hätte ich gern einen Doppelkorn und hast Du was von Jacques Brel da? 'La statue' vielleicht?"