17.12.12

Guntalk


Das angedrohte Blitzeis vor dem dritten Advent war genauso ausgeblieben wie der Weltuntergang vor dem vierten. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hatte getreu ihrem Motto, die deutsche Sprache um bislang unbekannte Begriffe erweitern zu wollen, ausgerechnet ‚Rettungsroutine’ zum Wort des Jahres erhoben. In zigarrengeschwängerter Luft wartete ich auf mein Stout; eigentlich lief alles wie immer den sozialistischen Jahresendfeiergang. Nur ‚Last christmas’ hatte ich dieses Jahr noch nicht ein einziges Mal gehört, dieses Jahr schien dem ‚Gangnam style’ zu gehören.
„Ist das nicht schrecklich mit diesen zwanzig toten Kindern?“ fragte Mellie, als sie mir das Glas hinstellte.
„Ich finde der Politiker auf NTV hatte Recht,“ meinte der Mann ein paar Hocker neben mir, „hätten die Lehrer auch Waffen gehabt, wäre der Amokläufer gar nicht so weit gekommen.“
Mellies Mund klappte auf, aber sie bekam kein Wort heraus.
„Ich meine, wenn klar ist, dass zurück geschossen wird, überlegen es sich diese Irren zweimal.“
„Naja,“ grummelte es aus des Heinzens Ecke, „es reicht nicht, die Waffe zu haben, man muss damit auch umgehen können.“
„Wie meinen Sie das?“
„So einem liberalen Weichei von Lehrer eine Knarre in die Hand zu drücken, wird gegen einen trainierten, schwer bewaffneten, mit einer kugelsicheren Weste ausgestatteten Amokläufer, der seine Tat sowieso nicht überleben will, kaum ausreichen. Da müssen größere, schwerere, präzisere Waffen her. Wie wäre es mit MG-Nestern in den Fluren oder mit Selbstschuss-Anlagen? Man könnte auch die Kinder bewaffnen. Die halten das für ein Spiel und schießen auf jeden Fall zurück.“
„Aber ist die Grundschule nicht zu früh dafür?“
Mellie sah entsetzt von einem zum anderen, ich harrte der Dinge, die zwangsläufig  folgen würden.
„Nicht, wenn schon im Kindergarten Paintball-Schlachten geübt werden und man zuhause mit Ego-Shootern trainiert. Das würde auch auf den Militärdienst vorbereiten. Bei der Wirtschaftskrise gibt's eh kaum andere Jobs.“
„Meinen Sie?“
„Und dann müssen die Gesetze zur Selbstverteidigung liberalisiert werden. Denken Sie an Treyvon Martin, der - unbewaffnet – im März von George Zimmerman erschossen wurde, weil er als siebzehnjähriger Schwarzer in einer Gated Community einen Kapuzenpulli trug - eindeutig Selbstverteidigung!“
„Der Prozess läuft doch noch...“
„Die Rechtslage in Florida ist klar, da gilt das ‚Stand your ground’-Gesetz.“
„Ist das nicht zu drastisch.“
Doch einmal in Fahrt gekommen, ließ sich der Heinz nicht beirren: „Wären die Besucher der Batman-Premiere im Juli in Colorado bewaffnet gewesen, hätte der Attentäter nicht mal eine Wasserpistole gebraucht. Eine geplatzte Papiertüte hätte gereicht und sie hätten sich im Dunkeln gegenseitig massakriert.“
„Machen Sie SIch über mich lustig?“
Der Heinz zuckte die Achseln. „Das Argument, ein Land, das mit 300 Millionen mehr eingetragene Waffen als Einwohner hat, bräuchte noch mehr Waffen, um weitere Tote zu verhindern, ist in etwa so schlüssig, wie das, dass man im deutschen Stauverkehr noch schnellere Autos braucht, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, aber...“
Der Typ warf einen Fünfer auf den Tresen und rief: „Sie können mich mal!“
Wir sahen ihm durch die Schwingtür hinterher und nicht einmal Mellie beschwerte sich darüber, dass der Heinz schon wieder einen ihrer Gäste vertrieben hatte.
„Einen Four Roses bitte,“ sagte der Heinz sanftmütig. „Der schmeckt, als würde er noch mit Schiesspulver gebraut. Und ich würde jetzt gern ‚Guntalk’ von Paul Roberts hören, wenn Du hast.“ Kommentarlos ging Mellie und sah nach.