13.01.15

Good-bye, Charlie

Armer Charlie, jetzt haben sie Dich wirklich erwischt.
Zuerst die fanatischen Killer und jetzt Deine Freunde.
Was hast Du mittlerweile auch für Freunde, Charlie, mal ehrlich, wer solche Freunde hat, muss den Tod auch nicht mehr fürchten - pun unintended, aber Satire kannst Du ja vertragen.
All diese Politiker mit ihren grundehrlichen Gesichtern und all die selbst ernannten Heiligen, alle die, denen Du regelmäßig den dreckigsten aller Spiegel vorgehalten hast, sie sind jetzt Deine neuen Freunde. Und bevor ihre kostspieligen Rechtsanwälte die Unterlassungsklagen gegen Dich zurückziehen konnten, haben sich Deine neuen Freunde in dieser Nebenstraße in Deiner Stadt getroffen, der Stadt, die bislang immer offen genug war, um Dich und Deine Provokationen auszuhalten. Deine neuen Freunde haben sich - sie behaupten: nur für Dich - Zeit genommen. Sie haben sich aufgestellt, streng nach Wichtigkeit, Charlie, sie haben sogar Statisten mitgebracht, damit es echt aussieht, und ein paar hübsche Fotos machen lassen.
Darauf sehen sie sehr engagiert aus, wie immer, wenn ihre Pressesprecher etwas planen. Aber Du weißt ja Charlie, Weltgeschichte wird nun mal nicht von Pressesprechern gemacht. So kamen erst diese gottgefälligen Killer, weil sie auf ihre Heiligen gehört haben, und dann kamen Deine neuen Freunde.
Natürlich war jeder von ihnen plötzlich Charlie, jeder war mehr Charlie als der andere, aber nur kurz. Denn bevor der Protestmarsch losging, waren sie wieder verschwunden. Sie haben aber auch viel zu tun: Den Euro retten, Flüchtlinge ausweisen, Kinder küssen, toujours faire la bonne figure, Charlie, das verstehst Du, oder? Keine Zeit für Deinen Marsch, keine Zeit für die Menschen, keine Zeit, um die Namen Deiner Toten zu lernen. Außerdem, viele Menschen sind nun einmal gefährlich und wäre einem Deiner neuen Freunde etwas passiert, das hätte die Welt nicht ausgehalten.
Bei Dir ist es anders, auf Dich kann man schiessen Charlie, Du bist ein Aussätziger. Du hast verspottet, was heilig war, Du hast alle provoziert. Hätten nicht die einen geschossen, wären bald die anderen gekommen. 'Selbst Schuld' denken sie, wenn keine Kamera dabei ist. Warte, bis es Dir die Anhänger Deiner neuen Freunde auch wieder ins Gesicht brüllen, wenn sie Dich wieder fragen, auf wessen Seite Du eigentlich stehst. Wie viele Freunde Deiner neuen Freunde wollten Dich nicht auch schon mundtot machen?
Noch trauen sie sich nicht, noch wirkt das Bild: Alle Deine neuen Freunde nebeneinander in dieser Gasse, vor den bezahlten Statisten, alle ernsthaft und betroffen, alle sind sie Du und alle wegen der Freiheit. Der Meinungsfreiheit, sagen sie.
Die Pressesprecher sind begeistert, solche Bilder geben bei Wahlen Punkte.
Die Rechtsanwälte sind es nicht, weil die Prozesse gegen Deine Meinungsfreiheit nun auf Eis liegen. Aber sie warten schon auf die nächste Gelegenheit.
Ich weiß nicht, ob es die noch geben wird, Charlie, ob Du das überlebst. Erst der Anschlag und jetzt Deine neuen Freunde. Ich bin nicht Charlie, Charlie, ich kann und ich will es nicht sein. Aber sollte es doch noch mal dazu kommen, werde ich Dir auch nicht vorwerfen, meine Gefühle verletzt zu haben, religiöse oder andere. Denn nichts und niemand ist so heilig, dass Menschen dafür sterben müssen. Aber das weißt Du ja, Charlie.