09.02.13

she blinded me with science

Anfang Februar fiel erneut schneeweißer Winter über die große, graue Stadt her, gemeinsam mit dem allgegenwärtigen Karneval und den Pleiten, Pech und Pannen ambitionierter Politiker in einem Wahljahr. Über schlecht geräumte Wege schlidderte ich an meinen Thekenplatz und geriet noch vor dem ersten Stout in die laufende Diskussion.
"Wieso muss eine Ministerin einen Hochschulabschluss haben?" fragte Mellie.
"Hmm", brummte der Heinz, "darum geht es doch gar nicht. Frau Schavan hat sich immer für Ehrlichkeit und Werte stark gemacht. Damit hat sie ihre Fallhöhe selbst bestimmt. Schon ihre Äußerungen über den Fall zu Guttenberg zeigen doch, wie verlogen sie ist."
"Aber sie hat doch die ganzen Jahre gute Arbeit geleistet."
Der Heinz atmete hörbar ein und sichtbar wieder aus. Sein Atem füllte den Raum in staubigem Grau: "Sie hat in Baden-Württemberg das zwölfjährige Abitur und Studiengebühren durchgesetzt - beides anerkannt fragwürdige pädagogische Massnahmen - und ansonsten ihrer Kanzlerin Nibelungentreue geschworen.
Größere Ambitionen wie Ministerpräsident von Baden-Württemberg oder Bundespräsidentin zu werden, hat sie jedes Mal aufgegeben, sobald es männliche Bewerber gab. Wie die Quotenhessin Schröder ist sie doch bloß eine Parteisoldatin mit einem fatalen Hang zu einer überkommenen Ordnung, die sie für gottgegeben hält. Was die Opposition abhält, ihre Leistungen in Frage zu stellen, ist bloß die Konvention, nicht schlecht über Tote zu reden."
Draußen fiel der Schnee in großen Flocken: "Du erträgst bloß keine Frauen in leitenden Positionen."
"Ich ertrage doch Dich."
"Wenn Du hier weiter trinken willst, musst Du das auch."
"Weißt Du Mellie," brummte der Heinz, "eigentlich haben wir gar keinen Akademikermangel, die Firmen wollen nur keine ordentlichen Löhne bezahlen und rechnen den Bedarf hoch, um billige Kräfte aus dem Ausland zu bekommen. Angesichts diesen künstlichen Bedarfs ist Frau Schavan trotz ihrer Vorliebe für Eliten-Bildung - wahrscheinlich hat sie bis vor Kurzem noch geglaubt, selbst zur Leistungselite zu zählen - auf die Erwachsenenbildung gekommen.
Sie hat nie wirklich was dafür getan, aber jetzt könnte sie doch mal zeigen, dass es ihr Ernst damit war: Um eine neue Doktorarbeit zu schreiben, müsste sie bloß die Aufnahmeprüfung schaffen, alle Formalien bezüglich Noten, Zeit, Ort, Gebühren und Praktikum usw. erfüllen und die reichlich Creditpoints erarbeiten, um danach die Aufnahme zum Masterstudium zu schaffen. Als Bachelor wird man nix und eine Garantie für die Zulassung zum Master gibt es nicht. Das zweite Studium bedeutet keine Erstausbildungsförderung mehr und die nächste Uni - was sind schon ein, zwei Umzüge bei den heutigen Wohnverhältnissen. Die Promotion dürfte, würde sie denn angenommen, noch mal mindestens drei Jahre dauern.
Das wäre zwar nicht so lässig und schnell wie die Promotion, die ihr vor dreißig Jahren hinterher geworfen wurde, aber danach wäre sie die erste Politikerin, die unter den von ihr geschaffenen Bedingungen tatsächlich einen akademischen Grad erreicht hätte."
Mellies Mund stand offen.
"Politiker erfüllen ihre eigenen Anforderungen so gut wie nie", strahlte der Heinz, "und Frau Schavan hat immer wieder die Vorteile ihrer fragwürdigen Entscheidungen für 'ernsthafte' Schüler und Studenten hervorgehoben; soll sie es halt beweisen.
Im Übrigen würde ich jetzt gern 'she blinded me with science' von Thomas Dolby hören. Und wenn Du eine Limo von Dr. Pepper hast, würde ich gern eine trinken."