14.02.12

Waterloo in Aserbaidschan

Der kurze, harte Winter verabschiedete sich rechtzeitig zum Karneval, Streiks in Nah- und Fernverkehr erhitzten die Gemüter und Bundespräsident Wulff ergriff am 17. Februar endlich die Chance, zurückzutreten, nachdem er die Gelegenheit dieses Jahr schon gefühlte 47 Mal hatte verstreichen lassen.
Ich entkoppelte mich vom Tagesgeschehen, indem ich meine Hand auf ein kühles Schwarzes legte. Der Heinz veredelte es stante pede mittels erhöhter Feinstaubbelastung zu Rauchbier, während mir Mellie und Birgit an der Theke schnell die wirklich wichtigen Themen näherbrachten.
"Ich hab von Anfang an gewusst, dass es Roman Lob werden würde!"
"Ich dachte Gauck?" fragte ich irritiert dazwischen, "und wer ist Roman Lob?"
"Der Gewinner von 'Deutschlands Star für Baku'! Seht ihr Männer denn wirklich gar nix außer Fußball?"
"Die Show hat niemand gesehen", grummelte es aus des Heinzens Ecke, "die hatte bloß zwei Drittel der schlechtesten Quote vom letzten Jahr."
Mellie schüttelte unwillig den Kopf: "Aber der Song ist wirklich klasse."
"Jamie Cullum schreibt für Präsident Alijew."
Und damit hatte er die Aufmerksamkeit der beiden Damen.
"Jamie Cullum hat mit an dem Lied geschrieben und Alijew ist der Diktator von Aserbaidschan. Ihr wisst schon: Diktatur, viel Militär, keine freien Wahlen, massive Menschenrechtsverletzungen, das ganze Programm. Und die ganze Zeit kein Wort darüber in ARD oder Pro 7."
"Heinz, unser Junge hat den Schmelz in der Stimme. Versuch nicht, uns das mies zu machen."
"Ganz nach den Statuten: 'Lied oder Auftritt dürfen keine politische Botschaft enthalten oder dem Image des Wettbewerbs schaden'", zitierte der Heinz, "und eine einzelne Stimme hat noch niemanden davon abgehalten, für den wichtigsten Handelspartner zu stimmen, egal wie gut sie war."
"1969 haben sie auch in Franco-Spanien gesungen", meldete ich mich zu Wort, "aber man muss ihnen zugute halten, dass sie die Regeln modernisiert haben: Man darf jetzt keine Tiere mehr einsetzen, die könnten ja zu Schaden kommen."
Der Heinz paffte ein nachdenkliches Wölkchen in den Raum, "Bei Olympia '80 und '84 wurde boykottiert, aber da ging es ja auch noch um die Weltherrschaft und nicht bloß um Menschenrechte für irgendwelche Eingeborenen." Er summte den Anfang von 'Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern': "Gut dass es vorm Krieg noch keinen Grand Prix gab, wer weiß, in welcher Diktatur der stattgefunden hätte."
Prompt baute sich Mellie mit kriegerisch in die Hüften gestemmten Fäusten vor dem Heinz auf: "Das hat alles gar nichts mit dem Song Contest zu tun. Das ist vollkommen unpolitisch."
"Natürlich", der Heinz legte die Zigarre in den Ascher, "aber allmählich sollte mal jemand dem nicht unerheblichen schwulen Anteil der ESC-Fangemeinde mitteilen, dass Alijew auch von deren Rechten nicht viel hält. Bevor sich jemand auf eine Reise ohne Wiederkehr begibt."
"Das würden die Veranstalter niemals zulassen!" widersprach Mellie.
"Veranstalter ist und bleibt Aserbaidschan", der Heinz schüttelte den Kopf, "und für diesen Veranstaltungsort ist ein Lied mit dem Titel 'Standing still' ein Omen.
Und wo wir grade bei den Rechten der fröhlichen Leute aus der Gay Community sind, hast Du 'Waterloo' im Computer? Und ich hätte gern einen Krim-Sekt, möglichst rosé, wenn Du hast."