06.10.11

Wallstreet Shuffle

Irgendein Schlaukopf mit einem Rest klassischer Bildung hatte dem aktuellen Tief den schönen Namen ‚Ophelia’ verliehen. Dass es sich dabei um einen ehemaligen Tropensturm handelte, änderte nichts an dem Gefühl, dass dieser Sommer gewesen war. Ich machte es mir bei einem Stout gemütlich, atmete zigarrenschwere Luft und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein.
"Sag mal, was glauben diese Griechen eigentlich?" fragte die Bedienung mit der süßen Zahnlücke den Heinz in der Ecke, "Wollen die uns immer noch betrügen?"
"Sie sind halt grad so schön in Übung."
"Kannst Du mal ernst bleiben?"
Mich ritt der Teufel: "Die können eh machen, was sie wollen, die Rating-Agenturen werden ihnen sowieso nicht glauben."
Zwei Köpfe ruckten, vier Augen sahen mich an. Ich versteckte mich schnell hinter meinem Glas.
"Wozu brauchen wir die eigentlich?" frage die Barfrau.
"Sie bewerten die Kreditwürdigkeit," sagte der Heinz, "Firmen, Kredite, ganze Länder. Im Auftrag und auf Kosten der zu Bewertenden."
"Und wie machen die das?"
"Sie lesen aus den Eingeweiden frisch geschlachteter Tiere," sagte ich.
"Was?"
"Er meint, dass kein Mensch weiß, was die tun."
"Aber die haben doch riesigen Einfluss, auf die Wirtschaft, meine ich."
"Was die Agenturen in der aktuellen Krise getan haben," sagte ich, "stellst Du Dir am besten so vor: Du hast einen Job. Jemand bietet einen besseren Job an. Auf dem Weg zu dem Termin wirst Du angefahren und so schwer verletzt, dass Du dauerhafte Schäden behältst. Der Fahrer ist derjenige, der Dich zu dem Termin bestellt hat. Er wird nicht bestraft, stattdessen meint er, Du hättest halt besser aufpassen sollen.
In Deinem Zustand kommst Du natürlich für den neuen Job nicht mehr in Frage. Und als Sahnehäubchen fragt er Dich nach der Telefonnummer Deines Chefs, denn der braucht ja jetzt einen neuen Mitarbeiter."
"Ach Quatsch!" Die Frau kriegte den Mund nicht zu, "das gibt’s doch nicht!"
"Und wenn Du nach Hause kommst, liegt da eine hohe Rechnung für die erhaltenen Serviceleistungen," brummte es ergänzend aus der Ecke.
"Ihr übertreibt," entrüstete sich die Frau.
"Eigentlich nicht," sagte der Heinz ruhig, "genauso ist diese Krise entstanden."
"Können die denn wirklich machen, was sie wollen?"
"Sie tun’s halt."
"Und wir können nichts dagegen tun?"
"Einfach," sagte ich.
"Wie?"
"Na, es sind doch Kapitalisten."
"Und?"
"Kaufen wir sie auf!"
Einen Moment konnte ich das polternde Geräusch nicht einordnen. Dann lachte der Heinz: "Ein Stout für den Kollegen, für mich einen Ciroc und leg' doch mal den 'Wallstreet-Shuffle' von 10cc auf, wenn Du hast!"