26.03.13

weather with you

Wir hatten den Papst gewechselt, des Tomfkap' - the old man formerly known as pope - Rücktritt blieb die einzig bemerkenswerte Tat in acht Jahren Amtszeit, Europa hatte in Zypern Milliarden russischen Schwarzgelds gerettet, was die Zyprioten als Einmarsch der Wehrmacht und Zar Putin als Diebstahl bezeichneten, die Regierung hatte bei den Beschränkungen von Banken und NPD der Mut verlassen, während Bayern und Hessen ihren gefunden hatten: Nachdem sie nicht mehr davon profitierten, klagten sie jetzt gegen den Länderfinanzausgleich.
Geblieben war die Arroganz von Kurie, Bänkern und Politikern. Und der Winter. Ostern stand vor der Tür und der Winter hatte Europa im, naja, Schwitzkasten. Das Wetter war wieder Tagesgespräch. Fernsehwetteronkel erhielten Morddrohungen und wurden wegen Depressionen behandelt. Sogar Kachelmanns Dauergrinsen hatte geringfügig abgebaut, das aber, weil die Abrechnung mit der deutschen Justiz, die er mit seiner aktuellen Hauptfrau in die Regale des deutschen Buchhandels gedrückt hatte, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. All das waberte durch die Rauchschwaden meiner Lieblingstränke, während ich an meinem zweiten Stout schnüffelte.
"Natürlich hat sich die Bettina vom Wulff scheiden lassen, sobald der Amt und Würden los war.
Nein", dröhnte der Heinz durch den Rauch seiner Zigarre, "das war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Der Wulff bekam das Quelle-Versand-Model zum Vorführen und - wenn er denn soviel Glück hatte - zum Anfassen und das Model kriegte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die es, dünn, blond und moralisch abwaschbar wie es ist, glaubt, verdient zu haben. Aber: Kameras weg, Model weg."
Betrübt schüttelte der Heinz den Kopf: "Und müsste Fipsi Rösler jeden Abend nach der Arbeit allein bei den Nazis in Oberschweineöde aus der S-Bahn steigen, würde das alte Schlitzauge auch mehr um seine körperliche Integrität fürchten als um sein Image in der politischen Parallelwelt. Dann wäre er bestimmt für jeden Aussteiger dankbar, der sich nicht an den täglichen Pogromen gegen ihn beteiligt."
Der Heinz hob sein Glas und goss sich den Kurzen hinter die Binde.
"Offensichtlich vergisst man, dass man zu Minderheiten gehört, wenn es einem nicht jeden Tag mit Schlagring oder Springerstiefeln reingetrieben wird."
"Ja, Du hast zu allem eine Meinung, Heinz", maulte Mellie, "aber selbst Du musst zugeben, dass der Dauerwinter nervt."
"Wie Alkohol wird auch Wetter sehr individuell wahrgenommen."
"Wie bitte?"
"Ist Dir nie aufgefallen, dass Du Dich bis zu einer bestimmten Menge an Alkohol situationsabhängig unterschiedlich betrunken fühlst? Genauso nimmst Du das Wetter wahr."
Mellie war entrüstet: "Ich träume das Wetter doch nicht! Es ist eiskalt!"
"Schon", sagte der Heinz, "die Frage ist nur, inwieweit Du das als störend wahrnimmst. Du willst Designerwetter? Nach gemittelten, nicht repräsentativen Befragungen hätten wir dann jeden Montag bis Freitag acht bis achtzehn Uhr zwanzig Grad, von Freitags abends bis Sonntags Nacht Sonne und dreissig Grad und Regen ausschliesslich nachts."
"Was wäre daran schlimm?"
"Sei mit Deinen Wünschen vorsichtig, sie könnten in Erfüllung gehenDein Leben lang."
"Und was ist mit den Kosten? Die Heizkostennachzahlungen werden uns umbringen, die Baustellen stehen still und Osterartikel und Frühjahrsblumen verkaufen sich gar nicht."
"Fritz Reuter sagte: 'Wat den einen sin Uhl is den andern sin Nachtigal.' Denn dafür laufen die Geschäfte mit Fernreisen und Glühwein, Winterklamotten verkaufen sich so prächtig wie Heizöl, und die Weihnachtsbaumstände könnten jetzt ein Supergeschäft machen. Binde die bunten Eier wie Kugeln an die Tanne statt sie ins Gras zu legen, dann findet man sie auch im dichtesten Schneetreiben wieder."
Er blinzelte ihr zu: "Und jetzt hätte ich gern einen 'Hurricane' und leg doch mal 'weather with you' von Crowded House auf, wenn Du hast."