05.09.11

Advocatus Monopoly

Mein nächstes Stout wurde in doppelter Hinsicht verräuchert. In seiner Ecke saß der Heinz über seinem Schnaps, kritzelte einen Block voll und qualmte dabei schwer vor sich hin. Ich hatte mein Glas gerade geleert, da enterte ein kurzärmeliger Typ mit bunter Krawatte und Durchblicker-Brille den Laden und bestellte ein kleines Pils. Er holte ein iPhone aus seinem Köfferchen und begann, geschäftig darauf herum zu schieben.
„Heute Nacht wurden schon wieder Autos abgefackelt,“ verkündete er dem fast leeren Raum, „aber der Wowereit macht ja nichts dagegen.“
Die Bedienung seufzte und zapfte mein nächstes Stout.
Der Kurzarm-Schlips redete irritiert weiter: „Kein Wunder, der hat ja auch kein Auto.“
Gar keine Reaktion.
„Aber wenn die Kommunisten nach der Wahl erst mal weg sind, gelten endlich wieder Recht, Ordnung und Eigentum. Würde mich sowieso nicht wundern, wenn die dahinter steckten. Sind doch alle neidisch, weil sie sich selbst keine anständigen Fahrzeuge leisten können.“
„Ich habe ein anständiges Fahrrad,“ bemerkte die Barfrau leichthin und deutete auf ihr aufgekrempeltes Hosenbein, „und bin nicht neidisch. Ich hab nicht mal ’nen Führerschein.“
„Schön, dass Ihnen das nichts ausmacht,“ schnaubte der Kurzarm-Schlips, „aber muss ich deswegen jede Nacht Angst um meinen Wagen haben? Der ist schließlich mein Arbeitskapital, verstehen Sie?“
„Vertreter?“ knurrte es fragend aus der Ecke.
„Reisender“ antwortete der Kurzarm-Schlips überrascht.
„Dann ist Ihr...?“
„Passat-Kombi!“
„...doch bestimmt Vollkasko versichert. oder?“
Der Kurzarm-Schlips nickte.
„Wie alt?“
„Über vier Jahre, nächstes Jahr abgeschrieben.“
„Und dann?“
„Wenn ich meine Zahlen dies Jahr halten kann, steht mir eine Mercedes C-Klasse zu.“
„Hmm,“ brummte es daraufhin aus der Ecke, „haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ein paar Nächte im gentryfizierten Teil von Kreuzberg zu parken, sagen wir neben einem X5, einem Porsche oder einer neuen S-Klasse?“
„Das wäre doch Wahnsinn!“
„Aber im Fall der Fälle zahlt eine Vollkasko den Zeitwert nach Vertrag ohne genaues Gutachten.“
„Wieso?“
„Haben Sie mal versucht, Vorschäden, Abnutzung und Pflegezustand eines ausgebrannten Autos zu begutachten?“
Der Kurzarm-Schlips trug schon Entrüstung im Gesicht.
„Den neuen Wagen bräuchten Sie dann natürlich sofort. Die Firma wird Sie doch wohl nicht ein Jahr zu Fuß gehen lassen, oder? Und da Ihre Umsätze stimmen..."
Jetzt sah ich nicht nur Erkenntnis aufblitzten: „Was sie vorschlagen ist aber ziemlich unmoralisch!“
„Und,“ ignorierte der Heinz das Kurzarm-Schlips-Dilemma, „was den Neid der so genannten Kommunisten betrifft: Wegen seines Porsche 911 musste der Vorsitzende der Linken letztes Jahr eine Neid-Debatte in der eigenen Partei durchstehen, während die Vorsitzende kein Vorstandssalär bezieht, da dem ihr Vertrag mit der Humboldt-Uni vertragsrechtlich entgegenstünde.“
„Was soll das heißen?“
„Will sagen, diese Kommunisten sind in der Mitte der kapitalistischen Gesellschaft angekommen und wissen sich da sehr gut zu behaupten.
Parken Sie Ihren Passat also ruhig neben Herrn Ernst' 911er in der kleinen Alexanderstraße. Und wenn Sie beide noch zufällig bei derselben Versicherung sind, würde es Ihrem Vertreter-Kollegen eine Menge Arbeit bei der Schadensabwicklung ersparen.“
„Das muss ich mir nicht anhören,“ schnaubte der Kurzarm-Schlips endgültig entrüstet, legte drei Euro-Stücke neben sein leeres Glas auf den Tresen und rauschte zur Tür hinaus.
„Heinz, würdest Du bitte damit aufhören, unsere Gäste zu vergraulen?“
„Ja schade. Hätte er länger durchgehalten, hätte ich ihm noch sagen können, wo Grillanzünder grad günstig sind. Wann ist übrigens das Wort Moral im Sprachgebrauch von Vertretern aufgetaucht?“
„Heinz!“
„Bring mir doch bitte einen deutschen Winzerrotwein und leg mal Janis Joplin auf.“
„Mercedes-Benz?“ fragte ich in die Ecke.
Der Heinz sah überrascht hoch: „Kennen wir uns?“