28.06.15

Die Königin der Trojaner

 Das Wetter war scheußlich. Dass überhaupt Sommer war, behauptete auch nur der Wetterclown im Fernsehen. Es war, als sollten die niedrigen Energiekosten der armseligen Winter dadurch ausgeglichen werden, dass die Heizungen auch im Sommer liefen. Hätte es mich genug interessiert, hätte ich den Heinz mit einer flotten Verschwörungstheorie amüsieren können, in der schwedische Energiekonzerne, amerikanisches Wetterfracking und englische Bilanzwerte vorgekommen wären. Lang lebe die Globalisierung.
 Aber so benetzte ich mein Inneres mit Stout, während Mellie den Fernseher laut schaltete. Irgendeine auf Schleim und Glitsch spezialisierte Quatschbacke dröhnte ihre Überzeugungen zum englischen Königshaus in den Raum. Genervt sah ich hoch, aber der Heinz war schneller: "Kannst Du das bitte wieder leise machen?"
"Interessiert Ihr Euch denn gar nicht dafür? Sie ist doch grad in Berlin."
Ich versuchte, nicht mit den Augen zu rollen, der Heinz legte die Zeitung beiseite: "Ich habe den Begriff 'Queen' konzeptionell nicht verstanden."
"Was gibt es denn daran nicht zu verstehen? Ihr Vater war König, ihr Großvater und so weiter. Sie stammt aus einem Königshaus."
"O.k., sie ist also Königin. Von England. Wirft das nicht ein paar Fragen auf?"
"Was denn für Fragen?"
Der Heinz seufzte: "Staatsrecht: Was ist der Status einer Königin in einer Demokratie? Welche Funktion hat sie eigentlich?
Geografie: Weshalb ist sie Königin von England, wenn alle Verwandte Deutsche sind?
Erbrecht: Wenn Königsein genetisch ist, wo sind die Nachfahren der Plantagenets, Lancasters oder Yorks?
Historisch: Wieso sollte ich jemandem respektieren, dessen Vorfahren meine Vorfahren geknechtet, entrechtet, in den Krieg geschickt oder sogar haben töten lassen?
Biologisch: Sind sie und ihre Kinder tatsächlich genetische Nachfahren ihrer Vorgänger? 
Psychologisch: Wieso sollte jemand, dessen adlige Vorfahren nur für Angst, Leid und Schmerzen gesorgt haben, am normalen Volk interessiert sein?
Wirtschaftlich: Von welcher Arbeit lebt sie eigentlich? Und woher stammt ihr Vermögen?"
Ich ließ Mellie Zeit zu schlucken, bevor ich eine neue Füllung für mein Glas bestellte.
"Warum muss bei Dir eigentlich alles immer so unglaublich kompliziert sein, Heinz? Sie ist nur eine nette alte Dame, die uns besucht."
"Ernsthaft? Und sie ist auch nur rein zufällig genau jetzt gekommen?"
"Natürlich. Ist wahrscheinlich ihr letzter Besuch, haben sie gesagt."
Der Heinz schüttelte den Kopf: "Nun, wir haben Pleite-Griechen und Mittelmeer-Flüchtlinge und eine andauernde Eurokrise."
"Aber damit hat doch Elisabeth nichts zu tun!"
"Willst Du mich auf den Arm nehmen? Sie ist Camerons trojanisches Pferd.
Ihre einzige Rede bezieht sich auf die EU. Dazu besucht sie zum ersten Mal in mehr als sechzig Jahren Dienstzeit ein KZ? Mit dem Primeminister wie dem Affen auf ihrem Rücken?
Der will seine Banken und sein Steuersystem für Kapitalflüchtlinge in der EU bestätigt haben. Wir Deutsche sollen ihn unterstützen, wenn er Englands Sondervorrechte in der EU weiter ausbaut. Er will keine Flüchtlinge aufnehmen, stattdessen will er sein Steuerrecht, in dem z.B. griechische Kapitalflüchtlinge steuerfrei in England leben und seine Wirtschaft unterstützen, behalten, sein Bankenrecht will er nicht einschränken. Alles für England, nichts für den Rest.
Wir sollen uns durch den Besuch geschmeichelt und natürlich auch schuldig fühlen - deshalb der private KZ-Besuch - und unseren Befreiern dankbar sein.
Bloß eine nette kleine alte Dame? Geht's noch?"
 Mellie schluckte nochmal, ich winkte mit meinem leeren Glas.
"Irgenwie ist mir heute nach einem Golden Oldie," sagte der Heinz und nahm die Zeitung wieder auf, "vielleicht was von den 'Sex Pistols'? 'God save the queen'? Und ich hätte gern einen ordentlichen No-Future-Gin dazu, ganz pur bitte."