16.09.11

Krethi & Pleiti & die FDP

Einmal mehr betrachtete ich den Schaum am Boden eines Glases Murphy’s viel zu früh am Tag und überdachte die Möglichkeit eines weiteren, als sich der alte Mann auf dem letzten Barhocker aufrichtete und die Zeitung senkte: „Warum sollen wir die Griechen eigentlich raushauen?“
Ich sah ihn kurz an und bestellte mein Stout.
„Weil Du nicht auf Dein Gyros mit Tzatziki verzichten willst,“ meinte die Frau hinter der Bar.
„Ja ja, aber der Rösler hat recht: Wir sollten sie pleite gehen lassen.“ Dann sah er wieder zu mir rüber: „Was meinen Sie dazu?“
Ein Streichholz nahm mir die Antwort ab. Entnervend langsam wurde es über die Reibfläche gezogen, bis es schließlich zündete. Hinter mir knisterte Tabak auf, Paffgeräusche folgten. Rauchschwaden zogen durch die Kneipe. Beim Reinkommen hatte ich tatsächlich den Heinz übersehen.
„Was haben Dir die Griechen denn getan Willi?“ brummte es aus der üblichen Ecke.
„Erst belügen und betrügen sie uns jahrelang, dann wollen sie unser Geld. Und jetzt sind sie auch noch sauer, weil wir an ihrer Pleite schuld sein sollen!“
„Und das reicht, um FDP zu wählen?“
„Die verschleudern unser Geld wenigstens nicht.“
„Phh,“ atmete der Heinz aus und trug damit weiter zur Feinstaubdebatte bei, „bist Du nicht Frührentner? Ex-VEB oder sowas?“
„Ja, bis ’92 beim Stahlkombinat, dann sind wir von unserem Geschäftsführer übernommen worden. Aber der Absatzmarkt im Osten war schon zusammengebrochen.“ Der alte Mann zuckte die Achseln. „Also Langzeitarbeitslosigkeit und mittlerweile Frührentner mit Verlust. Wieso?“
„Wer war schuld an der Pleite?“
„Na die Treuhand. Die haben uns erst verkauft und dann hängen lassen.“
„Gab’s denn vorher keine Probleme?“
„Für die modernen Legierungen hätten unsere Profile erneuert werden müssen. Wir brauchten neue, dünnere Formen und dafür waren die Maschinen zu alt. Aber wir hatten gut zu tun.“
„Also war die Treuhand schuld?“
„Vor der Ausgliederung hatten wir noch Aufträge. Wir haben nicht so viel verdient, aber das Leben war auch noch nicht so teuer wie heute.“
„Ja,“ meinte der Heinz nachdenklich, „so werden es die Griechen jetzt wohl auch sehen, wenn sie ihr Leben vor der Euro-Zone überdenken.“
Einen kurzen Moment war es so still, dass ich die Barfrau mit dem Handtuch auf dem Glas reiben hörte.
„Du kannst doch unsere Volkswirtschaft nicht mit Griechenland vergleichen!“
„Geringe Produktivität, veraltete Produkte, die Märkte brechen weg und neue Devisen gibt es nur noch zu illusorischen Zinsen. Genau deshalb will Herr Rösler ja Griechenland ebenso abwickeln wie Euch damals.“
„Na und? Auf uns hat schließlich auch keiner Rücksicht genommen!“
„Vielleicht lief es nicht so, wie Du Dir das 1989 vorgestellt hast, aber Du sitzt in einer Bar und nicht unter der Brücke.
Herrn Rösler schert es nicht, wen er arbeitslos macht, solange er es nicht selber ist. Der sollte sich besser über die Abwicklung der FDP Gedanken machen, da gehen an die hundert Abgeordnete in die Arbeitslosigkeit. Er selbst kann ja jederzeit ins blühende Meck-Pom ziehen, da werden Landärzte gesucht.
Und Du, Du kannst schon mal anfangen, Dein Geld zu sortieren.“
„Wieso?“
„Na, willst Du wirklich auf griechischen Euros sitzen bleiben, wenn Griechenland Pleite geht? Und wenn Du schon dabei bist, sortiere die von Portugal gleich mit aus.“
„Und die irischen.“
„Nein, Irland scheint sich wieder zu erholen.“
Tatsächlich holte der alte Mann eine handvoll Kleingeld aus der Hosentasche und begann, auf dem Tresen Münzen zu sortieren.
„Nimmst Du die noch?“ wollte er dann kleinlaut von der Barfrau wissen.
„Natürlich Willi, mach Dir mal keine Sorgen,“ beschwichtigte die ihn, „und Du Heinz hörst auf, Dich über Willi lustig zu machen!“
Das klang mir sehr nach Kindergarten, doch ich wartete noch auf den Schlussakkord.
„Wenn Du mir einen 25jährigen Metaxa anwärmst, der müsste ja eigentlich schon billiger geworden sein. Und hast Du 'Rain and Tears' von Aphrodite's Child auf dem PC?“
Ich wandte mich ab und kümmerte mich wieder ausschließlich um das, was wirklich mein Bier war.