30.12.11

Wanted dead or alive

Ich hatte mein Stout zur Hälfte geschafft, als ich bemerkte, dass der Heinz in seiner Ecke hektischer schrieb und qualmte als sonst. Die zweite Hälfte des Glases sah ich ihm zu.
"Schöner Stift", bemerkte ich dann und bestellte ein zweites Glas.
Der Heinz legte die Zigarre beiseite und blickte stolz auf seinen ebenso dicken Füllhalter: "Montblanc 149. In den USA heisst er wegen der damit unterschriebenen Verträge Power-Pen. Das Schreibgerät für alles hoch Offizielle!"
Ich kümmerte mich erstmal um mein zweites Stout.
"Ich höre immer offiziell?"
"Endlich ist mal eine Stelle vakant, für die ich nicht überqualifiziert bin."
Das konnte ja nun viel heißen: "Gibt es immer noch keinen Nachfolger für Gottschalk?"
"Sehr witzig. Die CDU sucht händeringend nach einem Justizsenator."
"Solang Du Dich
nicht auf die Al-Qaida-Stellenanzeige für den Job von Bin Laden bewirbst." So gesehen schien sich der Arbeitsmarkt zumindest für Führungskräfte tatsächlich entspannt zu haben. Laut fragte ich: "Hat Dich Henkel gefragt oder wird das eine Initiativ-Bewerbung?"
"Die Frist läuft ab und ich will Montag früh nicht der Erste an der Pinnwand des Jobcenters Neukölln sein müssen."
"Sie könnten auch eine Casting-Show veranstalten."
"Wäre nicht weiter wild, Bushido reicht die Bezahlung nicht, der ist doch voll integriert."
"Und Du willst Dich ernsthaft dabei filmen lassen, wie Du vor Heidi oder Dieter das Strafrecht absingst?" gab ich zu bedenken, "außerdem: Was ist mit zu Guttenberg? Der würde es machen, bloß um an den Copyrights schrauben zu dürfen."
"Kannst Du Dir einen Justizsenator vorstellen, der schon am Kopierer ein gefährlicher Mann ist?"
"Na ja, das Wirtschaftsressort hat die CDU auch einer Frau übergeben, deren Qualifikation laut 'Abendschau' darin besteht, Marathon-Läuferin zu sein."
"Iron Man und Iron Lady kann man ja auch schon mal verwechseln. Der Henkel wollte eben Maggie Thatcher. Es hätte schlimmer kommen können."
"Wie das?"
"Mehdorn. Der hätte doch als erstes den neuen Flughafen unter die Erde verlegt."
"Zumindest der Flugroutendebatte hätte das völlig neue Impulse verliehen."
Mein zweites Stout näherte sich dem Ende: "Scheint so, als hätten sie tatsächlich ein Schild vor die CDU-Zentrale stellen können: 'Junger Mann zum Mitreisen gesucht'. Aber was ist denn nun Deine spezielle Qualifikation?"
"Ich habe schon Wowereits und Henkels Verhandlungsdress - schwarzer Anzug und weißes Hemd mit hellblauer Krawatte - im Schrank und mal ernsthaft: Allein mit dem Stift bin ich doch quasi alternativlos.
Hey Mellie!" rief er begeistert, "schmeiß doch mal 'the one and only' auf den Plattenteller und bring mir ein Glas Champagner!"
"Tut es auch Sekt Hausmarke?" echote es von hinter dem Tresen, "was anderes hab ich nämlich nicht."
Wo wir grade von alternativlos reden, dachte ich und: Ich steh' auf Berlin.

09.12.11

Jungle Bells

Kaum hatte ich die Reihen der Konsumwütigen durchbrochen und es geschafft, mich zu einem Stout durchzuschlagen, erblickte ich Verwirrendes: Auf Heinz' Platz saß Sankt Nikolaus und führte über Eck ein Gespräch mit sich selbst. Logisch schloss ich, dass einer von beiden nicht echt sein konnte.
"Es ist ein Dschungel da draußen", begrüßte mich eine vertraut brummige Stimme.
"So warm ist es nun auch wieder nicht", gab ich irritiert zurück.
"Das Grauen." Der Heinz nahm die rote Mütze und den leicht zerfransten Rauschebart ab.
"Klaus", er deutete auf den anderen Weihnachtsmann, "er lenkt den Schlitten."
Wer von den beiden echt war, war damit geklärt und als mich der Schlittenlenker so gar nicht weiter beachtete, wohl auch, ob ich das Jahr über ein braver Junge gewesen war.
Der Heinz knöpfte die zerknitterte rote Jacke auf und legte den Blick auf ein durchgeschwitztes, schwarzes 'Slayer'-T-Shirt frei.
"Mich hat der Geist der aktuellen Weihnacht besucht", beantwortete er die Frage, die ich nicht laut gestellt hatte, "er war elf Jahre alt und wollte eine Playstation 3.
Ich hatte Kekse. Da hat er dann schon mal begonnen, auf meinem Schoß für 'Klitschko Käfigkampf 2012' zu trainieren."
"Was beschwerst Du Dich, Knecht Ruprecht?" fragte ich zurück, "Demut und Nächstenliebe sind die traditionellen christlichen Grundwerte, besonders zu Weihnachten."
"Anwärter auf den Titel beliebteste christliche Tradition der Vorweihnachtszeit sind jedenfalls Dem-Wagen-vor-einem-den-Parkplatz und Dem-Nachbarn-den-letzten-Tablet-PC-aus-dem-Angebot-Wegschnappen. Dazu werfe man sich ins Nahkampfgetümmel, dass es nach verbranntem Fleisch riecht, und trinke Glühwein, bis man dem Nikolaus die Weihnachtsgeschichte vorsingt.
Und bei alldem müssen wir schon froh sein, dass sie trotz der Völkerschlacht da draußen nicht bewaffnet sind", der Heinz warf einen skeptischen Blick aus dem Fenster, "zumindest noch nicht alle. Au Mann, wie ich Weihnachten liebe!
Hey Mellie, leg doch bitte 'welcome to the jungle' auf und ich brauche dringend noch einen großen 'Cuba libre'."

25.11.11

Money for nothing

Nebel war über Berlin gekommen, ungewöhnlich dichter Nebel, wie aus einem Edgar-Wallace-Film gekrochen. Ein Nebel, in dem selbst der Hund von Baskerville Gefahr lief, überfahren zu werden.
Eng an ein Stout gekuschelt saß ich an der Theke und beobachtete, wie der Heinz in seiner Ecke in Papieren kramte.
„Steuererklärung?“
„Zettelwirtschaft; muss meine Deckel bei Mellie glattmachen.“
„Und reicht’s?“
„Klar. Ab morgen kann ich ja wieder anschreiben lassen. Trotzdem sollte ich mir ein neues Geschäftsmodell suchen.“
Münze für Münze zählte er Geld auf den Tisch. „Kollege, was hieltest Du denn zum Beispiel von der Gründung einer radikalen Interessengemeinschaft?“
„Links- oder rechtsradikal?“
„Oh, zur Zeit ist mir sehr nach Recht und Ordnung.“
„Rechtsradikaler Straßenmob, Aktivisten für Gerechtigkeit, Todesstrafe und gegen Ausländer oder bloß Vordenker für die deutsche Leitkultur?“
„Ich nehme den Aktivisten, Straßenkampf ist mir zu anstrengend.
Und während ich die Todesstrafe für Kleinstvergehen und Parkplätze nur für Deutsche fordere, könntest Du mich unterstützen, indem Du ein paar Drohbriefe herumschickst und ein, zwei Hetzaufrufe im Internet startest.“
„Ja und ich könnte auch versuchen..., wie heißt unsere Familienministerin?“
„Eva Braun?“
Ich sah auf die Uhr: „Um die Zeit wohl eher deren Enkelin. Jedenfalls setzt sie sich sehr dafür ein, dass rechts bleibt, was rechts ist. Ich könnte ihr die Schirmherrschaft andienen. Als Rechte müssten wir ihr ja nicht mal versichern, das Grundgesetz zu respektieren.“
„Gute Idee. Kurz darauf werde ich dann beim Verfassungsschutz vorstellig und biete mich als V-Mann für unsere Bewegung an. Gegen ordentliche Bezahlung versteht sich.“
„Meinst Du, die zahlen genug für uns beide?“
„Sicher. Bei den Tarifen, die die für nicht überprüfbare Informationen bieten.“ Der Heinz warf einen letzten, traurigen Blick in sein Portemonnaie und steckte es weg.
„Mellie, es reicht noch für einen Korn Hausmarke. Und ich würde gern ‚Money for nothing’ hören.“
Dire Straits?“ kam es vom Tresen zurück.
Ich nickte sacht und beschloss bei dem Gedanken an die Leere, die den Heinz grad angestarrt hatte, meinen Job vorsichtshalber doch noch nicht zu kündigen.

05.11.11

Days after tomorrow

"Und Du Kollege?" fragte der Heinz letztlich und ziemlich unvermittelt.
Ich sah über die feste Schaumkrone meines Stouts und wusste nicht so recht, was er von mir wollte.
"Schon alle griechischen Euros abgestoßen?"
"An Devisen hab' ich nie geglaubt", ich nahm einen ordentlichen Schluck und ließ das kühle, samtig-bittere Schwarzbier langsam die Kehle runterlaufen, "bloß an Pfandflaschen."
"Solide Währung", stimmte der Heinz zu. "Besser ein bisschen Leergut als gar keine Wertgegenstände im Haus. Was ist mit Goldzähnen?"
"Nö, bin west-deutsch sozialisiert."
"Ja, Erziehung kann ein Problem sein. Wenn man nicht schon in der Kindheit mit der mittelalterlichen Tauschwirtschaft vertraut gemacht wurde, investiert man später leicht in die falschen Werte. Keramikkronen und Kunststoffinlays werden auf dem Schwarzmarkt keine zwei Zigaretten wert sein."
Na danke, dachte ich, und das, wo sich mein Zahnarzt so ins Zeug gelegt hatte. Laut fragte ich: "Und selbst?"
Nachdenklich paffte er ein paar kurze Wölkchen in den halbdunklen Raum.
"Im Nachhinein habe ich mich wohl zu sehr von persönlichen Interessen verleiten lassen. Auch die besten italienischen Schreibgeräte werden mir nach dem Euro nicht mehr viel bringen. Mit solchem Plunder werden sie uns überschwemmen."
"Jaja, all die Prada-Taschen und Espressomaschinen: In der Inflation keinen Teller Risotto mehr wert."
"Gut dass wenigstens die Griechen niemals Realwerte produziert haben, auf die man reinfallen konnte. Ich meine, wer sammelt schon antike Streitwagen oder Ikonen?"
"Ganz im Gegenteil zu italienischen Produkten."
"Schon, aber wer schon mal versucht hat, im lichtgrauen Cerrutti-Anzug seinen Stall auszumisten oder Kartoffeln zu ernten... "
" ...oder mit dem Ferrari den Rübenacker zu pflügen? Dabei mag ich Rüben nicht mal besonders, aber am Markttag kann man sie prima tauschen."
"Komisch, dass ich nicht schon früher bemerkt habe, wie unpraktisch diese Dinger eigentlich sind. Selbst in der brüchigen märkischen Scholle würgt man so eine Rennkupplung dauernd ab."
Der Heinz war noch bei Sportwagen, also tat ich ihm den Gefallen: "Aber schön waren sie schon."
"Ja", seufzte er verträumt und entließ noch zwei Wölkchen in den Raum, "schön waren sie."
Dann riß er sich zusammen: "Mellie?"
Die Barfrau sah gelangweilt von der 'Gala' hoch.
"Ich brauche jetzt ganz dringend ein paar Klassiker: Hast Du den 'letzten Sirtaki' von Rex Gildo im Computer? Und wenn Du irgendwo eine Flasche Brunello di Montalcino auftreiben könntest? Noch haben wir zwar keine Inflation, aber was soll's? Wenn er erstmal nichts mehr wert ist, schmeckt er bestimmt auch nicht mehr so richtig."
Oha, dachte ich und kippte schnell den Rest meines Stouts.

06.10.11

Wallstreet Shuffle

Irgendein Schlaukopf mit einem Rest klassischer Bildung hatte dem aktuellen Tief den schönen Namen ‚Ophelia’ verliehen. Dass es sich dabei um einen ehemaligen Tropensturm handelte, änderte nichts an dem Gefühl, dass dieser Sommer gewesen war. Ich machte es mir bei einem Stout gemütlich, atmete zigarrenschwere Luft und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein.
"Sag mal, was glauben diese Griechen eigentlich?" fragte die Bedienung mit der süßen Zahnlücke den Heinz in der Ecke, "Wollen die uns immer noch betrügen?"
"Sie sind halt grad so schön in Übung."
"Kannst Du mal ernst bleiben?"
Mich ritt der Teufel: "Die können eh machen, was sie wollen, die Rating-Agenturen werden ihnen sowieso nicht glauben."
Zwei Köpfe ruckten, vier Augen sahen mich an. Ich versteckte mich schnell hinter meinem Glas.
"Wozu brauchen wir die eigentlich?" frage die Barfrau.
"Sie bewerten die Kreditwürdigkeit," sagte der Heinz, "Firmen, Kredite, ganze Länder. Im Auftrag und auf Kosten der zu Bewertenden."
"Und wie machen die das?"
"Sie lesen aus den Eingeweiden frisch geschlachteter Tiere," sagte ich.
"Was?"
"Er meint, dass kein Mensch weiß, was die tun."
"Aber die haben doch riesigen Einfluss, auf die Wirtschaft, meine ich."
"Was die Agenturen in der aktuellen Krise getan haben," sagte ich, "stellst Du Dir am besten so vor: Du hast einen Job. Jemand bietet einen besseren Job an. Auf dem Weg zu dem Termin wirst Du angefahren und so schwer verletzt, dass Du dauerhafte Schäden behältst. Der Fahrer ist derjenige, der Dich zu dem Termin bestellt hat. Er wird nicht bestraft, stattdessen meint er, Du hättest halt besser aufpassen sollen.
In Deinem Zustand kommst Du natürlich für den neuen Job nicht mehr in Frage. Und als Sahnehäubchen fragt er Dich nach der Telefonnummer Deines Chefs, denn der braucht ja jetzt einen neuen Mitarbeiter."
"Ach Quatsch!" Die Frau kriegte den Mund nicht zu, "das gibt’s doch nicht!"
"Und wenn Du nach Hause kommst, liegt da eine hohe Rechnung für die erhaltenen Serviceleistungen," brummte es ergänzend aus der Ecke.
"Ihr übertreibt," entrüstete sich die Frau.
"Eigentlich nicht," sagte der Heinz ruhig, "genauso ist diese Krise entstanden."
"Können die denn wirklich machen, was sie wollen?"
"Sie tun’s halt."
"Und wir können nichts dagegen tun?"
"Einfach," sagte ich.
"Wie?"
"Na, es sind doch Kapitalisten."
"Und?"
"Kaufen wir sie auf!"
Einen Moment konnte ich das polternde Geräusch nicht einordnen. Dann lachte der Heinz: "Ein Stout für den Kollegen, für mich einen Ciroc und leg' doch mal den 'Wallstreet-Shuffle' von 10cc auf, wenn Du hast!"

16.09.11

Krethi & Pleiti & die FDP

Einmal mehr betrachtete ich den Schaum am Boden eines Glases Murphy’s viel zu früh am Tag und überdachte die Möglichkeit eines weiteren, als sich der alte Mann auf dem letzten Barhocker aufrichtete und die Zeitung senkte: „Warum sollen wir die Griechen eigentlich raushauen?“
Ich sah ihn kurz an und bestellte mein Stout.
„Weil Du nicht auf Dein Gyros mit Tzatziki verzichten willst,“ meinte die Frau hinter der Bar.
„Ja ja, aber der Rösler hat recht: Wir sollten sie pleite gehen lassen.“ Dann sah er wieder zu mir rüber: „Was meinen Sie dazu?“
Ein Streichholz nahm mir die Antwort ab. Entnervend langsam wurde es über die Reibfläche gezogen, bis es schließlich zündete. Hinter mir knisterte Tabak auf, Paffgeräusche folgten. Rauchschwaden zogen durch die Kneipe. Beim Reinkommen hatte ich tatsächlich den Heinz übersehen.
„Was haben Dir die Griechen denn getan Willi?“ brummte es aus der üblichen Ecke.
„Erst belügen und betrügen sie uns jahrelang, dann wollen sie unser Geld. Und jetzt sind sie auch noch sauer, weil wir an ihrer Pleite schuld sein sollen!“
„Und das reicht, um FDP zu wählen?“
„Die verschleudern unser Geld wenigstens nicht.“
„Phh,“ atmete der Heinz aus und trug damit weiter zur Feinstaubdebatte bei, „bist Du nicht Frührentner? Ex-VEB oder sowas?“
„Ja, bis ’92 beim Stahlkombinat, dann sind wir von unserem Geschäftsführer übernommen worden. Aber der Absatzmarkt im Osten war schon zusammengebrochen.“ Der alte Mann zuckte die Achseln. „Also Langzeitarbeitslosigkeit und mittlerweile Frührentner mit Verlust. Wieso?“
„Wer war schuld an der Pleite?“
„Na die Treuhand. Die haben uns erst verkauft und dann hängen lassen.“
„Gab’s denn vorher keine Probleme?“
„Für die modernen Legierungen hätten unsere Profile erneuert werden müssen. Wir brauchten neue, dünnere Formen und dafür waren die Maschinen zu alt. Aber wir hatten gut zu tun.“
„Also war die Treuhand schuld?“
„Vor der Ausgliederung hatten wir noch Aufträge. Wir haben nicht so viel verdient, aber das Leben war auch noch nicht so teuer wie heute.“
„Ja,“ meinte der Heinz nachdenklich, „so werden es die Griechen jetzt wohl auch sehen, wenn sie ihr Leben vor der Euro-Zone überdenken.“
Einen kurzen Moment war es so still, dass ich die Barfrau mit dem Handtuch auf dem Glas reiben hörte.
„Du kannst doch unsere Volkswirtschaft nicht mit Griechenland vergleichen!“
„Geringe Produktivität, veraltete Produkte, die Märkte brechen weg und neue Devisen gibt es nur noch zu illusorischen Zinsen. Genau deshalb will Herr Rösler ja Griechenland ebenso abwickeln wie Euch damals.“
„Na und? Auf uns hat schließlich auch keiner Rücksicht genommen!“
„Vielleicht lief es nicht so, wie Du Dir das 1989 vorgestellt hast, aber Du sitzt in einer Bar und nicht unter der Brücke.
Herrn Rösler schert es nicht, wen er arbeitslos macht, solange er es nicht selber ist. Der sollte sich besser über die Abwicklung der FDP Gedanken machen, da gehen an die hundert Abgeordnete in die Arbeitslosigkeit. Er selbst kann ja jederzeit ins blühende Meck-Pom ziehen, da werden Landärzte gesucht.
Und Du, Du kannst schon mal anfangen, Dein Geld zu sortieren.“
„Wieso?“
„Na, willst Du wirklich auf griechischen Euros sitzen bleiben, wenn Griechenland Pleite geht? Und wenn Du schon dabei bist, sortiere die von Portugal gleich mit aus.“
„Und die irischen.“
„Nein, Irland scheint sich wieder zu erholen.“
Tatsächlich holte der alte Mann eine handvoll Kleingeld aus der Hosentasche und begann, auf dem Tresen Münzen zu sortieren.
„Nimmst Du die noch?“ wollte er dann kleinlaut von der Barfrau wissen.
„Natürlich Willi, mach Dir mal keine Sorgen,“ beschwichtigte die ihn, „und Du Heinz hörst auf, Dich über Willi lustig zu machen!“
Das klang mir sehr nach Kindergarten, doch ich wartete noch auf den Schlussakkord.
„Wenn Du mir einen 25jährigen Metaxa anwärmst, der müsste ja eigentlich schon billiger geworden sein. Und hast Du 'Rain and Tears' von Aphrodite's Child auf dem PC?“
Ich wandte mich ab und kümmerte mich wieder ausschließlich um das, was wirklich mein Bier war.

05.09.11

Advocatus Monopoly

Mein nächstes Stout wurde in doppelter Hinsicht verräuchert. In seiner Ecke saß der Heinz über seinem Schnaps, kritzelte einen Block voll und qualmte dabei schwer vor sich hin. Ich hatte mein Glas gerade geleert, da enterte ein kurzärmeliger Typ mit bunter Krawatte und Durchblicker-Brille den Laden und bestellte ein kleines Pils. Er holte ein iPhone aus seinem Köfferchen und begann, geschäftig darauf herum zu schieben.
„Heute Nacht wurden schon wieder Autos abgefackelt,“ verkündete er dem fast leeren Raum, „aber der Wowereit macht ja nichts dagegen.“
Die Bedienung seufzte und zapfte mein nächstes Stout.
Der Kurzarm-Schlips redete irritiert weiter: „Kein Wunder, der hat ja auch kein Auto.“
Gar keine Reaktion.
„Aber wenn die Kommunisten nach der Wahl erst mal weg sind, gelten endlich wieder Recht, Ordnung und Eigentum. Würde mich sowieso nicht wundern, wenn die dahinter steckten. Sind doch alle neidisch, weil sie sich selbst keine anständigen Fahrzeuge leisten können.“
„Ich habe ein anständiges Fahrrad,“ bemerkte die Barfrau leichthin und deutete auf ihr aufgekrempeltes Hosenbein, „und bin nicht neidisch. Ich hab nicht mal ’nen Führerschein.“
„Schön, dass Ihnen das nichts ausmacht,“ schnaubte der Kurzarm-Schlips, „aber muss ich deswegen jede Nacht Angst um meinen Wagen haben? Der ist schließlich mein Arbeitskapital, verstehen Sie?“
„Vertreter?“ knurrte es fragend aus der Ecke.
„Reisender“ antwortete der Kurzarm-Schlips überrascht.
„Dann ist Ihr...?“
„Passat-Kombi!“
„...doch bestimmt Vollkasko versichert. oder?“
Der Kurzarm-Schlips nickte.
„Wie alt?“
„Über vier Jahre, nächstes Jahr abgeschrieben.“
„Und dann?“
„Wenn ich meine Zahlen dies Jahr halten kann, steht mir eine Mercedes C-Klasse zu.“
„Hmm,“ brummte es daraufhin aus der Ecke, „haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ein paar Nächte im gentryfizierten Teil von Kreuzberg zu parken, sagen wir neben einem X5, einem Porsche oder einer neuen S-Klasse?“
„Das wäre doch Wahnsinn!“
„Aber im Fall der Fälle zahlt eine Vollkasko den Zeitwert nach Vertrag ohne genaues Gutachten.“
„Wieso?“
„Haben Sie mal versucht, Vorschäden, Abnutzung und Pflegezustand eines ausgebrannten Autos zu begutachten?“
Der Kurzarm-Schlips trug schon Entrüstung im Gesicht.
„Den neuen Wagen bräuchten Sie dann natürlich sofort. Die Firma wird Sie doch wohl nicht ein Jahr zu Fuß gehen lassen, oder? Und da Ihre Umsätze stimmen..."
Jetzt sah ich nicht nur Erkenntnis aufblitzten: „Was sie vorschlagen ist aber ziemlich unmoralisch!“
„Und,“ ignorierte der Heinz das Kurzarm-Schlips-Dilemma, „was den Neid der so genannten Kommunisten betrifft: Wegen seines Porsche 911 musste der Vorsitzende der Linken letztes Jahr eine Neid-Debatte in der eigenen Partei durchstehen, während die Vorsitzende kein Vorstandssalär bezieht, da dem ihr Vertrag mit der Humboldt-Uni vertragsrechtlich entgegenstünde.“
„Was soll das heißen?“
„Will sagen, diese Kommunisten sind in der Mitte der kapitalistischen Gesellschaft angekommen und wissen sich da sehr gut zu behaupten.
Parken Sie Ihren Passat also ruhig neben Herrn Ernst' 911er in der kleinen Alexanderstraße. Und wenn Sie beide noch zufällig bei derselben Versicherung sind, würde es Ihrem Vertreter-Kollegen eine Menge Arbeit bei der Schadensabwicklung ersparen.“
„Das muss ich mir nicht anhören,“ schnaubte der Kurzarm-Schlips endgültig entrüstet, legte drei Euro-Stücke neben sein leeres Glas auf den Tresen und rauschte zur Tür hinaus.
„Heinz, würdest Du bitte damit aufhören, unsere Gäste zu vergraulen?“
„Ja schade. Hätte er länger durchgehalten, hätte ich ihm noch sagen können, wo Grillanzünder grad günstig sind. Wann ist übrigens das Wort Moral im Sprachgebrauch von Vertretern aufgetaucht?“
„Heinz!“
„Bring mir doch bitte einen deutschen Winzerrotwein und leg mal Janis Joplin auf.“
„Mercedes-Benz?“ fragte ich in die Ecke.
Der Heinz sah überrascht hoch: „Kennen wir uns?“

30.08.11

Promis Hochzeit

Ein paar Tage später kippte der Sommer unter die Zwanzig-Grad-Marke, aber das tat meinem Durst keinen Abbruch und dann hatte ich auch noch eine Stunde Zeit.
Die Barfrau mit der niedlichen Zahnlücke ließ sich in ihrem Gespräch nicht durch meine Bestellung unterbrechen, sie zapfte mit zwischen Schulter und Ohr geklemmtem Hörer: „...ja Babs, ich habe es auch gesehen. Eine Traumhochzeit in Potsdam, an die von William und Kate kam sie nicht ran, aber Prinzessin Sophie sah viel glücklicher aus als Charlène...“
„Andersrum,“ brummte es tieffrequent aus der Ecke dazwischen, „Sophie, Prinzessin von-und-zu“.
Die Barfrau stellte mein Stout auf die Theke und fragte mit Blick über meine Schulter: „Was?“
„Sophie ist keine Prinzessin.“
„Aber das hat der Seelmann-Eggebrecht doch dauernd gesagt und der ist Experte!“
„Werner Erhard Rolf Seelmann-Eggebert ist studierter Ethnologe, der kennt sich mit schriftlosen, nicht-staatenbildenden Gesellschaften und kleineren ethnischen Gruppen aus.“
„Was soll das heißen?“
„Dass er weiß, Sophie ist keine Prinzessin, sie heißt nur so.“
Einen Augenblick konnte ich die Hintergrundmusik hören.
„Und was ist mit ihrem Mann? Dem Ururenkel des letzten Kaisers?“ triumphierte sie dann. Ich sah von der Frau hinter der Bar zum Heinz in der Ecke, es war ein bisschen wie bei einem Tennis-Match.
„Seit dessen Abdankung 1918 haben wir keinen Adel mehr.“
„Aber sie haben doch diese Namen und sie kommen aus uralten Familien.“
„Seitdem sind sie Bürger wie Du und ich ohne Vorrechte, also de facto kein Adel.“
Ich hörte zum ersten Mal so etwas wie ein Lachen aus der Ecke: „Und über die, na ja Taten, für die diese Familien ihre Titel ursprünglich mal bekommen haben, geschweige denn über die, für die sie die Vorrechte verloren haben, wärst Du entsetzt.“
„Aber da können die beiden doch nichts dafür, das waren ihre Vorfahren. Und Mary von Dänemark hat grade ihren Urlaub unterbrochen, um in Afrika zu helfen.“
„Was hilft sie denn da groß? Und im Unterschied zu Deutschland ist Dänemark eine parlamentarisch-demokratische Monarchie. Königin Margrethe ist so repräsentativ wie der Bundespräsident“.
„Siehst Du! Und Dänemark geht es viel besser als uns.“
„Das heißt lediglich, dass sie was sagen, aber nicht eingreifen darf.“
„Das wäre aber besser, die Politiker wirtschaften doch alle nur in die eigene Tasche.“
„Deine Adligen haben das über Jahrhunderte getan. Sie hatten ihre Länder mit Militär, Willkür und Unterdrückung fest im Griff, es gab keine Möglichkeit, ohne Gewalt etwas zu verändern.
Was glaubst Du denn, wo das ganze Geld herkommt, das diese Traumhochzeiten möglich macht? All die Paläste und die Kronen? Dafür haben Deine Vorfahren wenn nicht bluten, dann zumindest schuften müssen.
Jetzt, sozusagen aus der Opposition, ist Kritik einfach. Aber wer die Entscheidungen trifft, muss der Versuchung widerstehen, in die eigene Tasche zu wirtschaften, Freunde zu bevorteilen und sich so unangreifbar zu machen.“
„Sprichst Du jetzt von Berlusconi?“
„Gutes Beispiel,“ brummte der Heinz versöhnlich, „bunga-bunga mit der Nichte von Mubarak.“
,„Sie ist nicht die Nichte von Mubarak.“
„Wäre Berlusconi tatsächlich der König von Italien, würde niemand daran zweifeln, so wenig wie an seinen angeblich neuen, billigen Anzügen.“
„Warum nicht?“
„Er würde es einfach verbieten und alle Königstreuen würden ihm glauben, einfach seine neuen Kleider loben und ihn verteidigen, zur Not mit ihrem Leben.“
Der Heinz hob sein Glas zu einem imaginären Toast: „Der König ist tot, es lebe der König!
Ich hätte gern einen Jägermeister und spiel ruhig mal ‚König von Deutschland’.“

20.08.11

Vorschriftsmaessig

Der Tag war schwül, ich durstig und das „Murphy’s“-Schild verlockend. Gleich hinter der Tür schmeckte ich den Rauch. Er waberte aus der hintersten Ecke durch den Schankraum; nicht der dünne, beißend chemische Rauch modischer Light-Zigaretten, es waren die tief hängenden, schweren Schwaden einer stumpf-süßen Zigarre, die allein jede Feinstaub-Diskussion überflüssig machten. In diesem Moment kamen mein Stout und Ärger in Form der Gewerbeaufsicht zeitgleich an die Theke. Grußlos zog der Ärger eine Kette mit einer laminierten Ausweiskarte aus dem T-Shirt-Ausschnitt. Er hielt ihn der Barfrau kurz vor die Nase, ließ ihr nicht mal Zeit, die Pupillen scharfzustellen.
„Dies ist ein Raucherlokal. Personen unter 18 dürfen sie nicht hereinlassen. Wo ist der Hinweis?“
Die Frau hinter der Theke deutete auf ein selbst gedrucktes Schild neben der Tür, aber jetzt legte er erst richtig los: „Wo ist die Tafel mit der Deklaration der Zusatzstoffe? Wo hängt die aktuelle Ausgabe des Jugendschutzgesetzes? Und in Raucherlokalen darf kein Essen zubereitet werden. Was ist das da?“
„Limettenscheiben für die Drinks.“
„Das sind Lebensmittel, die werden Sie wegwerfen müssen. Und die Türe nach draußen bleibt geschlossen, damit die Passanten nicht durch Ihren Rauch belästigt werden. Sie können ja einmal in der Stunde stoßlüften.“
In diesem Moment stand ich in Zigarrenrauch, einer richtigen Wolke, undurchsichtig und beinahe greifbar. Sie haute mich fast um.
„Ich würde Sie gern was fragen,“ brummte eine tiefe Stimme neben mir und stieß dabei noch mehr Rauch aus. „Vielleicht können Sie mir ja erklären, für wen das Jugendschutzgesetz in einem Lokal aushängen soll, das niemand unter 18 betreten darf?“
„Das ist Vorschrift!“
„Eine der sinnvollsten, da bin ich sicher. Wann haben Sie übrigens das letzte Mal so richtig herzhaft in eine Limette gebissen?“
„Also das geht Sie doch wohl kaum was...“
„Sollten Sie auf jeden Fall mal versuchen, die sind richtig lecker, machen regelrecht süchtig. Und in welchem Gesetz steht denn, dass ich überall zum Rauchen vor die Tür muss, aber dieselbe Tür geschlossen zu bleiben hat, wenn sie in eine Raucherkneipe führt? Die Stelle würde ich von Ihnen gern mal gezeigt bekommen.“
„Sind Sie hier überhaupt zuständig?“
„Bloß ein interessierter Bürger. Lassen Sie mich Ihren Ausweis auch mal sehen?“
Der Ärger drehte sich um, sagte der Frau hinter dem Tresen, er käme baldigst wieder und wolle dann die Aushänge sehen. Dann verschwand er.
Und während ich mich noch fragte, ob der Auftritt wohl zur Erlebnis-Gastronomie gehörte oder ich möglicherweise grad eine missglückte Schutzgelderpressung miterlebt hatte, grummelte der Mann neben mir: „Ich glaube nicht, dass es das schon war. Ich würde die Schilder bald besorgen, zumindest den Jugendschutz und die Zusatzstoffe.“
Und damit war er auf dem Weg zurück in seine Ecke.
„Werd' ich machen, danke Dir,“ sagte die Barfrau, „was kann ich Dir bringen?“
„Einen schönen Whiskey Rye und leg ‚I shot the sheriff’ auf,“ kam als Antwort aus der Ecke.
Fehlt nur noch das schmutzige Glas, dachte ich.
Gelassen erklärte die Frau in meine Richtung: „Das ist der Heinz,“ während sie eine Flasche mit dem Jim-Beam-Schriftzug auf einem knatschgelben Label aus dem Regal nahm, „normalerweise wohnt der hinten in der Ecke und kritzelt bloß auf seinem Block herum.“
Und dann brachte sie ihren Mund so nah an mein Ohr, dass ich die Stöße ihres Atems spürte und ein Schauer meinen Hals herunterlief: „Das mit der Musik und dem Getränk macht er, weil er unter Synästhesie leidet.“
Wollten die mich auf den Arm nehmen? Ich suchte die versteckte Kamera, fand keine, sah sie scharf an: Sie schien das tatsächlich ernst zu meinen.
Ich brauchte dringend das nächste Bier. Hoffentlich aus einem sauberen Glas.