02.05.12

football's coming home

Ohne größere Schäden war der erste Mai durch die Stadt und am neuen Innensenator vorübergezogen. Gefühlte dreißig Grad hielten uns Eingeborene mit gelegentlichen Gewittereinspielungen auf Trab, bevor die Temperaturen ganz absackten. Aufreger waren der zukünftige Flughafen und der Benzinpreis. Kaum durch die Tür, die mich noch von meinem Stout trennte, hörte ich schon eine aggressive Stimme:
"Willst Du denn ernsthaft auf den Europameister-Titel verzichten?"
Ein dürrer, grauer Schnäuzer stand vor des Heinz' Tisch und zitterte vor Empörung.
Richtig dicke Luft, dachte ich, noch bevor ich die Zigarre riechen konnte.
"Hast Du die Vorbereitungsspiele nicht gesehen? Wir gewinnen! Sogar gegen Holland!"
"Rüdiger, was regst Du Dich auf," fragte Mellie hinter dem Tresen, "Du weißt doch, dass der Heinz immer provozieren will."
"Deine Holländer werden wohl in blau spielen müssen," gab der zu bedenken, "oder meinst Du, Präsident Janukowytsch will ausgerechnet die Farbe von 2004 auf dem Platz sehen?"
Und als Rüdiger verständnislos kuckte: "Noch nie was von der 'orangen Revolution' gehört? Aber das Spiel gegen Holland könnte Frau Tymoschenko etwas Ablenkung bieten."
"Wieso?"
"Sie sitzt in Charkiw ein und da findet es statt." Der Heinz zuckte die Achseln, "vielleicht kann sie es ja durch die Gitterstäbe verfolgen."
Mit Muße blies er eine gewaltige Rauchwolke Richtung Tresen. Prophylaktisch schaltete Mellie den Ventilator ein: "Wir hatten Olympia in China, die Formel 1 in Bahrain, Heinz, ist die Ukraine denn wirklich so schlimm?"
"Wir kriegen auch einen Song-Contest in Baku und Winterspiele und eine Fußball-WM in Russland. Sind Großveranstaltungen wichtiger als Menschenrechte, Umwelt- oder Tierschutz?"
"Bleib mir mit Deinem esoterischen Quatsch von der Pelle!" Rüdiger fuhr sich durch den kurzen, grauen Mittelscheitel, "es ist doch bloß Sport!"
"Na klar," brummte der Heinz und ich dachte, ich höre nicht richtig, "in diesen exotischen Kulturen gehören Feme-Gerichte, Vendetta und Diktatur zur liebevoll gepflegten Folklore. Uns Touristen gehen der Sexismus, die religiöse Dogmen und soziale Kasten der Eingeborenen nichts an. Menschenrechte soll man niemandem gegen seinen Willen aufzwingen. Bloß seltsam, dass diese exotischen Kulturen zu Europa gehören sollen."
Des Heinz' Augen blitzten: "Hast du eigentlich noch diesen kleinen, schwarzen Westie," fragte er, "der einem immer wie Falschgeld unter den Füßen herumläuft?"
Rüdiger nickte irritiert.
"Den nimm besser nicht mit zur EM. Da werden frei laufende Hunde gefangen und getötet, um das Stadtbild zu säubern. Die Tierschützer laufen seit Monaten Sturm."
Rüdiger lief erst rot an und wurde dann allmählich blass.
"Tja, die Folklore. Der Tierschutzbund hat in Deutschland zehnmal so viele Mitglieder wie der für Kinder, also sollten Euch doch zumindest die Hunde...
Einen großen Wodka, Mellie, eiskalt. Und leg mal 'three lions' auf."
"Sollte ich das kennen?"
"Den Refrain hast du schon gehört", griente der Heinz, "football's coming home."
Ich kippte mein Stout und deklamierte getragen: "Aber er kam nie mehr nach Hause. Stattdessen zog er hinaus in fremde Gefilde und entfernte Galaxien, um immer neuen Imperien zu mehr Ruhm und barbarischen Herren zu immer größeren Vermögen zu verhelfen."
Und der Heinz grinste nicht mehr, während die restliche Kneipe ein, zwei Sekunden schwieg.

18.03.12

Lady Godiva oder Bodo und der Tag der Frau

Übers Wochenende war Tief Barbara einem Hoch gewichen. Eine Etage darunter praktizierte der öffentliche Dienst bundesweit genauso Arbeitsverweigerung wie die Hertha in Berlin, dort, wo Joachim Gauck erst im vierten von drei Wahlgängen zum Bundespräsidenten gewählt worden war und mich der letzte Wetterbericht auf die versprochenen zwanzig Grad warten ließ wie Beckett seinen Estragon auf den Lammbraten. Sonst war alles beim alten, der Heinz qualmte und kritzelte in seiner Ecke, Mellie telefonierte mit einer Freundin und Bodo blätterte zwei Barhocker weiter in seiner 'Bild'.
"Na, musst du jetzt suchen?" frotzelte Mellie Bodo an und steckte das Handy weg, "keine Titten mehr auf Seite 1?"
"Bloß 'ne Image-Kampagne; auf Seite 1 ist Werbung teuer," schaltete sich der Heinz ein. "Die Nackedeis sind nur nach hinten ins Heft gewandert."
"Jedenfalls muss ich nicht mehr auf nackte Brüste starren, nur weil ich U-Bahn fahre!" hielt Mellie dagegen.
"Deren Nachrichtenwert ist auch begrenzt," wagte ich einzuwerfen, "aber als eifrige 'Bild'-Mitarbeiterin wird Frau Schwarzer bestimmt jedes Foto persönlich absegnen. Und sie ist schließlich unsere letzte Instanz für Sexismus."
"Die heilige Johanna der Druckmaschinen hat ihre Windmühlen aus den Augen verloren," stimmte der Heinz zu, "ihr Kreuzzug scheint zum Ego-Trip geschrumpft."
"Solang ihr Ego nur impliziert, dass sie die Sex-Bildchen anderer genehmigt..."
"Das war aber unter der Gürtellinie!" maulte Mellie.
"Ist das Sex nicht immer?" konterte der Heinz.
"Wer mit 'Bild' ins Bett geht, muss auch mit den Krankheiten leben, die man sich dabei einfängt," ergänzte ich.
"Bei dem infrage stehenden, der Megalomanie verdächtigen Monster-Ego würde ich eh nur auf einen weiteren Versuch tippen, sich als in jeder Hinsicht überlegene Spezies aufzudrängen."
Ich nickte ihm zu: "Oder als Kampagne zur Akzeptanz von Rentner-Sex."
"Nacktaufnahmen von Frau Schwarzer im Namen der Gleichbehandlung?"
"Wären dir welche von Franz Josef Wagner lieber?"
"Na das wäre dann aber so richtig ausgeglichen," gab er zurück, "aber wo er seinen Sex-Bildchen doch so nachgeweint hat, könnte er ja selbst in die Bresche..."
"Blitz-Meinungsumfrage: Bodo? Wie würde dir ein gemeinsames Aktbild von Frau Schwarzer und dem Kolumnisten Wagner auf dem Titelblatt gefallen?"
"Lasst mich mit euerm Schweinkram in Ruhe," wehrte der sich, "ich hab nach den Angeboten für'n Kasten 'Schultheiss' gesucht!"
Insgesamt mal wieder reichlich Rauch um wenig, aber dieses eine Mal wollte ich das letzte Wort nicht wegschenken: "Mellie, darf ich dich mit einem Prosecco diskriminieren? Dann braucht der Heinz dringend 'nen Magenbitter, Bodo ein Pils und ich ein Stout.
Und wie wäre es zur Feier der Nebelkerzen der 'Bild'-Redaktion am vergangenen Frauentag mit 'living next door to Alice' und 'she works hard for the money'?"

14.02.12

Waterloo in Aserbaidschan

Der kurze, harte Winter verabschiedete sich rechtzeitig zum Karneval, Streiks in Nah- und Fernverkehr erhitzten die Gemüter und Bundespräsident Wulff ergriff am 17. Februar endlich die Chance, zurückzutreten, nachdem er die Gelegenheit dieses Jahr schon gefühlte 47 Mal hatte verstreichen lassen.
Ich entkoppelte mich vom Tagesgeschehen, indem ich meine Hand auf ein kühles Schwarzes legte. Der Heinz veredelte es stante pede mittels erhöhter Feinstaubbelastung zu Rauchbier, während mir Mellie und Birgit an der Theke schnell die wirklich wichtigen Themen näherbrachten.
"Ich hab von Anfang an gewusst, dass es Roman Lob werden würde!"
"Ich dachte Gauck?" fragte ich irritiert dazwischen, "und wer ist Roman Lob?"
"Der Gewinner von 'Deutschlands Star für Baku'! Seht ihr Männer denn wirklich gar nix außer Fußball?"
"Die Show hat niemand gesehen", grummelte es aus des Heinzens Ecke, "die hatte bloß zwei Drittel der schlechtesten Quote vom letzten Jahr."
Mellie schüttelte unwillig den Kopf: "Aber der Song ist wirklich klasse."
"Jamie Cullum schreibt für Präsident Alijew."
Und damit hatte er die Aufmerksamkeit der beiden Damen.
"Jamie Cullum hat mit an dem Lied geschrieben und Alijew ist der Diktator von Aserbaidschan. Ihr wisst schon: Diktatur, viel Militär, keine freien Wahlen, massive Menschenrechtsverletzungen, das ganze Programm. Und die ganze Zeit kein Wort darüber in ARD oder Pro 7."
"Heinz, unser Junge hat den Schmelz in der Stimme. Versuch nicht, uns das mies zu machen."
"Ganz nach den Statuten: 'Lied oder Auftritt dürfen keine politische Botschaft enthalten oder dem Image des Wettbewerbs schaden'", zitierte der Heinz, "und eine einzelne Stimme hat noch niemanden davon abgehalten, für den wichtigsten Handelspartner zu stimmen, egal wie gut sie war."
"1969 haben sie auch in Franco-Spanien gesungen", meldete ich mich zu Wort, "aber man muss ihnen zugute halten, dass sie die Regeln modernisiert haben: Man darf jetzt keine Tiere mehr einsetzen, die könnten ja zu Schaden kommen."
Der Heinz paffte ein nachdenkliches Wölkchen in den Raum, "Bei Olympia '80 und '84 wurde boykottiert, aber da ging es ja auch noch um die Weltherrschaft und nicht bloß um Menschenrechte für irgendwelche Eingeborenen." Er summte den Anfang von 'Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern': "Gut dass es vorm Krieg noch keinen Grand Prix gab, wer weiß, in welcher Diktatur der stattgefunden hätte."
Prompt baute sich Mellie mit kriegerisch in die Hüften gestemmten Fäusten vor dem Heinz auf: "Das hat alles gar nichts mit dem Song Contest zu tun. Das ist vollkommen unpolitisch."
"Natürlich", der Heinz legte die Zigarre in den Ascher, "aber allmählich sollte mal jemand dem nicht unerheblichen schwulen Anteil der ESC-Fangemeinde mitteilen, dass Alijew auch von deren Rechten nicht viel hält. Bevor sich jemand auf eine Reise ohne Wiederkehr begibt."
"Das würden die Veranstalter niemals zulassen!" widersprach Mellie.
"Veranstalter ist und bleibt Aserbaidschan", der Heinz schüttelte den Kopf, "und für diesen Veranstaltungsort ist ein Lied mit dem Titel 'Standing still' ein Omen.
Und wo wir grade bei den Rechten der fröhlichen Leute aus der Gay Community sind, hast Du 'Waterloo' im Computer? Und ich hätte gern einen Krim-Sekt, möglichst rosé, wenn Du hast."

22.01.12

Sailing

Anstelle von Winter gab es Regen bis zum Abwinken, was aber leider niemand tat. Wohl deshalb war es schon Ende Januar soweit: Mellie diskutierte über die Bar mit Beate - klein, mit ihren getönten kurzen Haaren irgendwie mausig und schon beim dritten Prosecco - die fürs Jahr anstehenden Fluchtpläne: "Endlich hatte ich ihn soweit, eine Kreuzfahrt zu machen, und dann ..."
"Wo wolltest Du hin?"
Mellie verdrehte die Augen: "Andi wollte ausgerechnet ins Mittelmeer."
"Männer. Aber es konnte ja auch keiner ahnen, dass das Mittelmeer so gefährlich ist."
"Die Gefährlichkeit des Mittelmeers hängt stark davon ab, in welche Richtung man es überquert", grummelte es aus der Ecke.
Ein Streichholz ratschte langsam über eine Reibfläche, dann wehten Rauchwolken über die Bar: Der Heinz war aus seinem Nickerchen erwacht.
"Wie meinst Du das?" fragte Mellie.
"In Afrika zu starten ist definitiv gefährlicher. Letztes Jahr sind mindestens 1127 verschollen und 177 ertrunken. In die Gegenrichtung sind's bislang 16."
"Davon habe ich gar nichts gehört!"
"Du hast nichts von den Flüchtlingen aus Afrika gehört?"
"Ach die."
"Genau die. Die müssen das Risiko eingehen; die Kreuzfahrer machen das doch nur aus Jux und Dollerei. Aber vor Gericht und auf See ..."
Beate drehte sich wieder zu Mellie um: "Etwas weiter weg von Antalya gibt es einen günstigen Club mit abwechslungsreichem Programm."
"Andi will immer Abenteuer und Aufregung: Bungee, Rafting, Tauchen, das ganze Zeugs."
"Wie wäre es mit einer Rafting-Tour von Afrika nach Italien? Nimmt er Anhalter mit, verdient er daran auch noch ordentlich."
"Heinz!"
"Noch aufregender wäre nur die Tour mit den leeren Booten zurück."
"Was?"
"Naja, mittlerweile fahren sie massenweise rüber und irgendwer muss die Dinger doch zurückbringen. Bis auf die gekenterten natürlich."
"Och Heinz! Wir reden hier über Urlaub."
"Gerne. Ihr solltet noch etwas warten und dann die Kreuzfahrt buchen, die werden sicher billiger. Allerdings nicht unbedingt noch mal mit Hein Blöd als Käpt'n. Und Schiffe mit hoher Bordwand ersparen einem den Anblick des Flüchtlingselends; man hat ja schließlich nicht alle Tage Urlaub."
Der Heinz paffte ein paar Züge in den Raum.
"Hast Du 'Sailing' von Rod Stewart? Und bring mir einen Captain Morgan Rum."
"Wenn Du mir meinen Urlaub mies machst, kriegst Du gar nichts von mir!"
Instinktiv fasste ich mein Stout fester.

30.12.11

Wanted dead or alive

Ich hatte mein Stout zur Hälfte geschafft, als ich bemerkte, dass der Heinz in seiner Ecke hektischer schrieb und qualmte als sonst. Die zweite Hälfte des Glases sah ich ihm zu.
"Schöner Stift", bemerkte ich dann und bestellte ein zweites Glas.
Der Heinz legte die Zigarre beiseite und blickte stolz auf seinen ebenso dicken Füllhalter: "Montblanc 149. In den USA heisst er wegen der damit unterschriebenen Verträge Power-Pen. Das Schreibgerät für alles hoch Offizielle!"
Ich kümmerte mich erstmal um mein zweites Stout.
"Ich höre immer offiziell?"
"Endlich ist mal eine Stelle vakant, für die ich nicht überqualifiziert bin."
Das konnte ja nun viel heißen: "Gibt es immer noch keinen Nachfolger für Gottschalk?"
"Sehr witzig. Die CDU sucht händeringend nach einem Justizsenator."
"Solang Du Dich
nicht auf die Al-Qaida-Stellenanzeige für den Job von Bin Laden bewirbst." So gesehen schien sich der Arbeitsmarkt zumindest für Führungskräfte tatsächlich entspannt zu haben. Laut fragte ich: "Hat Dich Henkel gefragt oder wird das eine Initiativ-Bewerbung?"
"Die Frist läuft ab und ich will Montag früh nicht der Erste an der Pinnwand des Jobcenters Neukölln sein müssen."
"Sie könnten auch eine Casting-Show veranstalten."
"Wäre nicht weiter wild, Bushido reicht die Bezahlung nicht, der ist doch voll integriert."
"Und Du willst Dich ernsthaft dabei filmen lassen, wie Du vor Heidi oder Dieter das Strafrecht absingst?" gab ich zu bedenken, "außerdem: Was ist mit zu Guttenberg? Der würde es machen, bloß um an den Copyrights schrauben zu dürfen."
"Kannst Du Dir einen Justizsenator vorstellen, der schon am Kopierer ein gefährlicher Mann ist?"
"Na ja, das Wirtschaftsressort hat die CDU auch einer Frau übergeben, deren Qualifikation laut 'Abendschau' darin besteht, Marathon-Läuferin zu sein."
"Iron Man und Iron Lady kann man ja auch schon mal verwechseln. Der Henkel wollte eben Maggie Thatcher. Es hätte schlimmer kommen können."
"Wie das?"
"Mehdorn. Der hätte doch als erstes den neuen Flughafen unter die Erde verlegt."
"Zumindest der Flugroutendebatte hätte das völlig neue Impulse verliehen."
Mein zweites Stout näherte sich dem Ende: "Scheint so, als hätten sie tatsächlich ein Schild vor die CDU-Zentrale stellen können: 'Junger Mann zum Mitreisen gesucht'. Aber was ist denn nun Deine spezielle Qualifikation?"
"Ich habe schon Wowereits und Henkels Verhandlungsdress - schwarzer Anzug und weißes Hemd mit hellblauer Krawatte - im Schrank und mal ernsthaft: Allein mit dem Stift bin ich doch quasi alternativlos.
Hey Mellie!" rief er begeistert, "schmeiß doch mal 'the one and only' auf den Plattenteller und bring mir ein Glas Champagner!"
"Tut es auch Sekt Hausmarke?" echote es von hinter dem Tresen, "was anderes hab ich nämlich nicht."
Wo wir grade von alternativlos reden, dachte ich und: Ich steh' auf Berlin.

09.12.11

Jungle Bells

Kaum hatte ich die Reihen der Konsumwütigen durchbrochen und es geschafft, mich zu einem Stout durchzuschlagen, erblickte ich Verwirrendes: Auf Heinz' Platz saß Sankt Nikolaus und führte über Eck ein Gespräch mit sich selbst. Logisch schloss ich, dass einer von beiden nicht echt sein konnte.
"Es ist ein Dschungel da draußen", begrüßte mich eine vertraut brummige Stimme.
"So warm ist es nun auch wieder nicht", gab ich irritiert zurück.
"Das Grauen." Der Heinz nahm die rote Mütze und den leicht zerfransten Rauschebart ab.
"Klaus", er deutete auf den anderen Weihnachtsmann, "er lenkt den Schlitten."
Wer von den beiden echt war, war damit geklärt und als mich der Schlittenlenker so gar nicht weiter beachtete, wohl auch, ob ich das Jahr über ein braver Junge gewesen war.
Der Heinz knöpfte die zerknitterte rote Jacke auf und legte den Blick auf ein durchgeschwitztes, schwarzes 'Slayer'-T-Shirt frei.
"Mich hat der Geist der aktuellen Weihnacht besucht", beantwortete er die Frage, die ich nicht laut gestellt hatte, "er war elf Jahre alt und wollte eine Playstation 3.
Ich hatte Kekse. Da hat er dann schon mal begonnen, auf meinem Schoß für 'Klitschko Käfigkampf 2012' zu trainieren."
"Was beschwerst Du Dich, Knecht Ruprecht?" fragte ich zurück, "Demut und Nächstenliebe sind die traditionellen christlichen Grundwerte, besonders zu Weihnachten."
"Anwärter auf den Titel beliebteste christliche Tradition der Vorweihnachtszeit sind jedenfalls Dem-Wagen-vor-einem-den-Parkplatz und Dem-Nachbarn-den-letzten-Tablet-PC-aus-dem-Angebot-Wegschnappen. Dazu werfe man sich ins Nahkampfgetümmel, dass es nach verbranntem Fleisch riecht, und trinke Glühwein, bis man dem Nikolaus die Weihnachtsgeschichte vorsingt.
Und bei alldem müssen wir schon froh sein, dass sie trotz der Völkerschlacht da draußen nicht bewaffnet sind", der Heinz warf einen skeptischen Blick aus dem Fenster, "zumindest noch nicht alle. Au Mann, wie ich Weihnachten liebe!
Hey Mellie, leg doch bitte 'welcome to the jungle' auf und ich brauche dringend noch einen großen 'Cuba libre'."

25.11.11

Money for nothing

Nebel war über Berlin gekommen, ungewöhnlich dichter Nebel, wie aus einem Edgar-Wallace-Film gekrochen. Ein Nebel, in dem selbst der Hund von Baskerville Gefahr lief, überfahren zu werden.
Eng an ein Stout gekuschelt saß ich an der Theke und beobachtete, wie der Heinz in seiner Ecke in Papieren kramte.
„Steuererklärung?“
„Zettelwirtschaft; muss meine Deckel bei Mellie glattmachen.“
„Und reicht’s?“
„Klar. Ab morgen kann ich ja wieder anschreiben lassen. Trotzdem sollte ich mir ein neues Geschäftsmodell suchen.“
Münze für Münze zählte er Geld auf den Tisch. „Kollege, was hieltest Du denn zum Beispiel von der Gründung einer radikalen Interessengemeinschaft?“
„Links- oder rechtsradikal?“
„Oh, zur Zeit ist mir sehr nach Recht und Ordnung.“
„Rechtsradikaler Straßenmob, Aktivisten für Gerechtigkeit, Todesstrafe und gegen Ausländer oder bloß Vordenker für die deutsche Leitkultur?“
„Ich nehme den Aktivisten, Straßenkampf ist mir zu anstrengend.
Und während ich die Todesstrafe für Kleinstvergehen und Parkplätze nur für Deutsche fordere, könntest Du mich unterstützen, indem Du ein paar Drohbriefe herumschickst und ein, zwei Hetzaufrufe im Internet startest.“
„Ja und ich könnte auch versuchen..., wie heißt unsere Familienministerin?“
„Eva Braun?“
Ich sah auf die Uhr: „Um die Zeit wohl eher deren Enkelin. Jedenfalls setzt sie sich sehr dafür ein, dass rechts bleibt, was rechts ist. Ich könnte ihr die Schirmherrschaft andienen. Als Rechte müssten wir ihr ja nicht mal versichern, das Grundgesetz zu respektieren.“
„Gute Idee. Kurz darauf werde ich dann beim Verfassungsschutz vorstellig und biete mich als V-Mann für unsere Bewegung an. Gegen ordentliche Bezahlung versteht sich.“
„Meinst Du, die zahlen genug für uns beide?“
„Sicher. Bei den Tarifen, die die für nicht überprüfbare Informationen bieten.“ Der Heinz warf einen letzten, traurigen Blick in sein Portemonnaie und steckte es weg.
„Mellie, es reicht noch für einen Korn Hausmarke. Und ich würde gern ‚Money for nothing’ hören.“
Dire Straits?“ kam es vom Tresen zurück.
Ich nickte sacht und beschloss bei dem Gedanken an die Leere, die den Heinz grad angestarrt hatte, meinen Job vorsichtshalber doch noch nicht zu kündigen.