17.12.12

Guntalk


Das angedrohte Blitzeis vor dem dritten Advent war genauso ausgeblieben wie der Weltuntergang vor dem vierten. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hatte getreu ihrem Motto, die deutsche Sprache um bislang unbekannte Begriffe erweitern zu wollen, ausgerechnet ‚Rettungsroutine’ zum Wort des Jahres erhoben. In zigarrengeschwängerter Luft wartete ich auf mein Stout; eigentlich lief alles wie immer den sozialistischen Jahresendfeiergang. Nur ‚Last christmas’ hatte ich dieses Jahr noch nicht ein einziges Mal gehört, dieses Jahr schien dem ‚Gangnam style’ zu gehören.
„Ist das nicht schrecklich mit diesen zwanzig toten Kindern?“ fragte Mellie, als sie mir das Glas hinstellte.
„Ich finde der Politiker auf NTV hatte Recht,“ meinte der Mann ein paar Hocker neben mir, „hätten die Lehrer auch Waffen gehabt, wäre der Amokläufer gar nicht so weit gekommen.“
Mellies Mund klappte auf, aber sie bekam kein Wort heraus.
„Ich meine, wenn klar ist, dass zurück geschossen wird, überlegen es sich diese Irren zweimal.“
„Naja,“ grummelte es aus des Heinzens Ecke, „es reicht nicht, die Waffe zu haben, man muss damit auch umgehen können.“
„Wie meinen Sie das?“
„So einem liberalen Weichei von Lehrer eine Knarre in die Hand zu drücken, wird gegen einen trainierten, schwer bewaffneten, mit einer kugelsicheren Weste ausgestatteten Amokläufer, der seine Tat sowieso nicht überleben will, kaum ausreichen. Da müssen größere, schwerere, präzisere Waffen her. Wie wäre es mit MG-Nestern in den Fluren oder mit Selbstschuss-Anlagen? Man könnte auch die Kinder bewaffnen. Die halten das für ein Spiel und schießen auf jeden Fall zurück.“
„Aber ist die Grundschule nicht zu früh dafür?“
Mellie sah entsetzt von einem zum anderen, ich harrte der Dinge, die zwangsläufig  folgen würden.
„Nicht, wenn schon im Kindergarten Paintball-Schlachten geübt werden und man zuhause mit Ego-Shootern trainiert. Das würde auch auf den Militärdienst vorbereiten. Bei der Wirtschaftskrise gibt's eh kaum andere Jobs.“
„Meinen Sie?“
„Und dann müssen die Gesetze zur Selbstverteidigung liberalisiert werden. Denken Sie an Treyvon Martin, der - unbewaffnet – im März von George Zimmerman erschossen wurde, weil er als siebzehnjähriger Schwarzer in einer Gated Community einen Kapuzenpulli trug - eindeutig Selbstverteidigung!“
„Der Prozess läuft doch noch...“
„Die Rechtslage in Florida ist klar, da gilt das ‚Stand your ground’-Gesetz.“
„Ist das nicht zu drastisch.“
Doch einmal in Fahrt gekommen, ließ sich der Heinz nicht beirren: „Wären die Besucher der Batman-Premiere im Juli in Colorado bewaffnet gewesen, hätte der Attentäter nicht mal eine Wasserpistole gebraucht. Eine geplatzte Papiertüte hätte gereicht und sie hätten sich im Dunkeln gegenseitig massakriert.“
„Machen Sie SIch über mich lustig?“
Der Heinz zuckte die Achseln. „Das Argument, ein Land, das mit 300 Millionen mehr eingetragene Waffen als Einwohner hat, bräuchte noch mehr Waffen, um weitere Tote zu verhindern, ist in etwa so schlüssig, wie das, dass man im deutschen Stauverkehr noch schnellere Autos braucht, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, aber...“
Der Typ warf einen Fünfer auf den Tresen und rief: „Sie können mich mal!“
Wir sahen ihm durch die Schwingtür hinterher und nicht einmal Mellie beschwerte sich darüber, dass der Heinz schon wieder einen ihrer Gäste vertrieben hatte.
„Einen Four Roses bitte,“ sagte der Heinz sanftmütig. „Der schmeckt, als würde er noch mit Schiesspulver gebraut. Und ich würde jetzt gern ‚Guntalk’ von Paul Roberts hören, wenn Du hast.“ Kommentarlos ging Mellie und sah nach.

03.11.12

all hallows' eve oder die amerikanischen Heiligen

Die Nächte wurden schnell länger, so dass auch die alljährliche Arbeitsbeschaffungsmassnahme für das Uhrmacherhandwerk nicht mehr darüber hinweg täuschen konnte, und die Theke war schummrig. Ich trank Stout und roch des Heinzens Räucherware.
"Gerd, was machst Du mit all den Süßigkeiten?" fragte Mellie mit Blick in die große, gelbe Netto-Plastiktasche neben meinem Hocker, "Du hast doch gar keine Enkel."
Der alte Mann links von mir schüttelte den Kopf: "Für Halloween. Ich scheine an einer beliebten Strecke zu wohnen. Jedes Jahr klingeln mehr Kinder."
Mellie lachte: "Wenn Du die Tauben fütterst, kommen die immer wieder."
"... hat's alles zu meiner Zeit nicht gegeben," brubbelte Benno vom anderen Ende der Theke.
Mellie tätschelte ihm die Hand: "Das kommt aus Amerika, so feiern die da drüben Allerheiligen."
"Ja, die Ossis, die alte Partytruppe, haben das aus den US of A geholt, sobald sie '89 von der Leine gelassen worden waren," dröhnte es aus des Heinz' Ecke, "bei Benno waren es noch Kaugummi und Rock'n'Roll."
"Damals war das was anderes," widersprach der, "den ganzen neumodischen Quatsch brauche ich nicht."
"Aber Verkleiden ist für Kinder ein Riesenspaß", wollte ihn Mellie umstimmen, doch Benno ließ sich nicht erweichen: "Dieser Konsumterror hat nichts mit unseren christlichen Grundwerten zu tun."
"Hat die CSU auch schon lange nicht mehr", echote der Heinz, "aber im Namen führen sie sie trotzdem noch."
"Ach, mir macht das einfach Spaß," sagte Gerd, "die Kinder klingeln, zeigen ihre Verkleidungen, sagen ihre Sprüche auf und bekommen Süßigkeiten."
"Die einzige Möglichkeit", lachte es aus des Heinz' Ecke. "heutzutage fremden Kindern Süßigkeiten geben zu können, ohne dass die Eltern sofort den UNO-Sicherheitsrat anrufen."
"Na hör mal, was denkst Du denn von mir?"
"Und trotz all der Berichterstattung über missbrauchte Kinder und Pädophilen-Netzwerke findet es niemand komisch, Kinder unbeaufsichtigt in unbekannte Häuser zu schicken, um sich von fremden Menschen Süssigkeiten geben zu lassen. Dabei sollte das doch eigentlich der Albtraum aller Eltern sein."
"Was willst Du damit unterstellen? Ich habe noch nie..."
Des Heinzens Bass zerschnitt das Gestammel mühelos: "Es gibt Riesenstress um dicke Kinder und ausgerechnet aus den USA kommt ein Brauch mit dem einzigen Sinn, bergeweise Süßigkeiten einzusammeln?"
"Wäre interessant zu sehen, wie lange noch mit Saurem gedroht wird, wenn die Süßigkeiten aus Tofu-Würfeln und Karotten-Schnitzen bestehen werden," säuselte ich meinem Bier etwas zu laut zu.
Die Köpfe drehten sich. Alle in meine Richtung. Oh Mann.
"Wie viele makrobiotische Zombies kann es in einer Stadt geben?"
Sie sahen mich immer noch erstaunt an. Noch mal seufzend gab ich nach: "Also Meinetwegen: eine Lokalrunde 'Schlehenfeuer'! Aber dann will ich auch 'Sweets for my sweet' in der Originalfassung hören!"
Des Heinz' Lachen ließ die Theke vibrieren.

30.10.12

Beautiful Sunday

"Was Schönes eingekauft?" wollte Mellie wissen, als ich die bunte Plastiktüte klirrend auf dem Tresen abstellte.
Ich zog einen Flunsch und bestellte mein Stout.
"Dass ausgerechnet Du am Sonntag einkaufen gehst..."
Ich sah sie über den Rand des Glases an: "Wieso?"
"Üblicherweise verteidigst Du die Werktätigen Genosse," brummte der Heinz und Rauch wehte aus seiner Ecke in den Barraum, "da war davon auszugehen, dass Du alter Gewerkschafter den verkaufsoffenen Sonntag scheust wie der Teufel das Weihwasser."
"Sehr lustig."
"Ich muss auch jeden Sonntag arbeiten," meinte Mellie.
"Du und jeder andere Pfarrer," lachte der Heinz, "alles Männer Gottes."
"Das wage ich noch zu bezweifeln," maulte ich zu leise in mein leeres Glas, um gehört zu werden, und bestellte das nächste. "Die Schlossstraße hinauf und hinunter habe ich ganzen Hunnenhorden mit drei Buchstaben auf dem Kennzeichen die Stirn geboten und musste dann trotzdem zum Apotheken-Nachttarif bei Karstadt einkaufen. Mehr als die Hälfte aller Läden war nämlich nicht geöffnet."
"Freies Unternehmertum," gab der Heinz zurück, "niemand wird gezwungen, Geld zu verdienen."
"Sei zufrieden, dass Du in Berlin lebst. Hier gibt's wenigstens keine Sperrstunde," sagte Mellie, ganz stolze Hauptstädterin.
"Oh," der Heinz gab den Oberlehrer, "die bundesweite Sperrstunden-Regelung gibt es schon lang nicht mehr. Inzwischen legt jedes Bundesland selbst fest, wann wer aufhaben darf. Deshalb haben wir auch diese entzückend kleinteiligen Regelungen mit den zwei verkaufsoffenen Advent-Sonntagen und den seltsamen Öffnungszeiten für die Läden im Hauptbahnhof und demnächst im Flughafen."
Mellie nickte: "Die habe ich nie verstanden!"
"Das eine hängt an der Zahl der verkaufsoffenen Sonntage pro Jahr. Die Kirchen verlangen Kompromisse, damit mehr ihrer Schäfchen Sonntags Zeit für sie haben. Und die Entscheidung, welche Läden an normalen Sonntagen öffnen dürfen, hängt davon ab, ob es sich bei ihrer Ware um Reisebedarf handelt."
"Reisebedarf?"
Der Heinz sah sie nachsichtig an: "Aber noch besser sind die Bayern. Bei deren Tankstellen kriegst Du nach acht und an Wochenenden nur Ware, wenn mit dem Auto vorfährst."
"Super," sagte ich, "Deiner Party geht nach Stunden das Bier aus, und Du musst mit dem Auto einkaufen fahren, egal wie viel Du schon intus hast. Erhöht die Verkehrssicherheit bestimmt ungemein."
"Nun sag schon," fragte Mellie, "was hast Du denn nun so dringend gebraucht?"
"Bier." Ich sah zur Decke. "Und eine bestimmte Flasche Whisky."
"Schätzchen, Du hättest doch nur zu mir kommen müssen," säuselte Mellie, "ich hab doch jeden Sonntag auf. Und zum Schluss endest Du doch sowieso jedes Mal wieder hier."
Ich nickte gottergeben, sie blickte in meine Plastiktüte.
"Na dann einen Jim Beam Rye für alle und ein Bier!" rief sie. "Und soll ich mal 'Sunday bloody sunday' für Dich auflegen?"

02.10.12

Zug um Zug

Ich bog um die Ecke und der Tag war ein besonderer. Vor der Bar fletzte der Heinz in einem der Plastikstühle. Ich sah von seinem missmutigen Gesicht zur verschlossenen Tür, schnappte mir auch einen Stuhl vom Stapel und fragte: "Soll ich kurz zu 'Getränke Hoffmann' rüber, ein Sixpack holen?"
"Willst Du mich zu allem Überfluss auch noch auf den Arm nehmen?"
Wollen hätte ich schon gemocht, nur dürfen habe ich mich nicht getraut. Denn unbedingt zu vermeiden wäre dabei, dass der Heinz seine Unzufriedenheit über die Gesamtsituation anschliessend an mir ausließ. Heikel. Und ambitioniert. Noch in der Planungsphase meiner Antwort überholte mich die Realität in Form von Mellies Ankunft.
"Natürlich müsst ausgerechnet Ihr es sein!" schnauzte sie, bevor sie schaumgebremst und mit hochrotem Kopf erst das Sicherheitsgitter, dann die Tür aufschloss.
Bis Licht und Musik andeuteten, dass die Explosionsgefahr drinnen nicht mehr unmittelbar sei, warteten wir. Schwerfällig ließ sich der Heinz in seiner Ecke nieder, ich nahm mir einen Barhocker.
"Diese verdammte S-Bahn!" Donner rollte heran.
Da ich nicht wusste, ob sie mit mir, dem Heinz oder wie einst Don Camillo mit dem höheren Wesen, das sie verehrte, redete, beschränkte ich mich auf ein Nicken.
"Erst sind Züge ausgefallen, dann haben Heizungen und Türen nicht funktioniert, waren Weichen vereist, haben Kabel gebrannt und was weiß ich nicht noch alles."
"Rücktritt Mehdorn, Auftritt Grube", kommentierte der Heinz aus dem Off, offensichtlich vollständig angstfrei.
"Dann haben sie diese bescheuerte Brücke vor Wannsee abgerissen und den Fahrplan umgestellt, um in Nikolassee Anschluss zu schaffen."
Mellie sah mich wütend an. Um den Heinz wütend anzusehen, hätte sie sich ziemlich vorbeugen müssen. Das wiederum hätte ich gern gesehen.
"Die Verbindung zur BVG hat von Anfang an nicht geklappt, genau wie zum Ersatzverkehr, wenn Du auf der Treppe nicht zu den ersten zwanzig gehörst."
Ich wartete.
"Und jetzt bauen sie zwischen Schöneberg und Friedenau und ich brauche fürs Warten und Umsteigen länger als für die Fahrtzeit."
Bislang hatte sie weder nach Getränken gefragt, noch mit unseren Standardbestellungen begonnen.
"Als Sahnehäubchen fährt eine Freundin täglich im Regionalverkehr nach Griebnitzsee. Aber der wurde wegen des Brückenbaus ebenfalls komplett und gleichzeitig zur S-Bahn eingestellt. Und die Kirsche oben drauf ist die Avus, die seit dem Sommer halb gesperrt ist. Völlig egal wie oder wann, Du landest im Stau."
Vorsichtig deutete ich auf das Regal hinter ihr, in dem unglaubliche Mengen von Alkohol auf Gäste - also mich - warteten, aber Mellie sah nichts, Mellie hörte nichts. 
"Wenn ich könnte würde ich die Bahn auf Rückgabe meiner zwischen ihren Baustellen verlorenen Lebenszeit verklagen."
"Die Bahn AG will nur Geld verdienen." Der Heinz schnitt ein Zigarrenende ab.
"Ob sie mit dem Monopol für den innerdeutschen öffentlichen Nahverkehr - eine Folge des ersten Weltkriegs - die Preise hochtreibt, KZ-Häftlinge transportiert oder uns das von uns selbst bezahlte Schienensystem vorenthält und uns immer wieder aufs Neue dafür bezahlen lässt, dass wir es benutzen." Er gab sich Feuer.
"Renditevorstellungen in Höhen, von denen mittlerweile selbst die Deutsche Bank abgerückt ist, bluten die S-Bahn aus, und Du glaubst, die würden sich auch nur die Bohne um Deine Transportbedürfnisse scheren? Lieber kauft die Busse in Indien oder Container-Schiffe in Afrika."
"Ich will aber nicht von Hongkong nach Macao, sondern von Mitte nach Steglitz und zwar pronto, damit ich nicht nochmal zu spät komme und ihr beiden Besserwisser schon auf mich wartet. Habt Ihr eigentlich die verdammten Stühle draußen zurück auf den Stapel gestellt? Heute soll's noch regnen!"
Ich ging Stühle stapeln. Und bevor ich mich endgültig ohne Bier vom Acker machte, hatte ich tatsächlich noch keine Replik von dem Heinz gehört, keine passende Bestellung, keinen Musikauftrag.

18.08.12

Zen oder die Kunst, einen Flughafen zu bauen - ein Update

Fürs Wochenende waren über dreißig Grad angesagt und alle, denen ich auf dem Trampelpfad zur rituellen Tränke begegnete, übten schon mal Schwitzen. Drinnen war es richtig stickig, schon weil des Heinz' Zigarre ordentlich für Feinstaub sorgte. Den Kerl, der sich an der Bar hinter einer 'B.Z.' versteckte, störte weniger der Rauch: "Jetzt verschieben sie die Eröffnung des Flughafens zum vierten Mal!"
"Das ist bei rein repräsentativen Gebäuden nun mal so," gab der Heinz unbeteiligt zurück, "bis der Kölner Dom fertig war, hat es auch fünfhundert Jahre gedauert."
"Das ist doch ewig her."
"Hundertfünfzig Jahre," der Heinz schaute kurz auf, "kein Verhältnis zur Bauzeit. Dann sind da noch die Hamburger Elbphilharmonie und der CCTV-Knoten in Peking: Der sollte auch zu deren Olympiade fertig sein."
"Aber das BER-Desaster ist rufschädigend für Berlin!"
"Das nicht BER sondern BBI heißen sollte. Kurz nach der ersten Werbung kam dann raus, dass das Kürzel schon nach Indien vergeben war."
"Man kann nicht an alles denken," murmelte ich. Mellie sah genervt zu mir rüber.
"Zwanzig Jahren Planung und zu wenig Abfertigungsschalter," maulte es hinter der Zeitung.
"Man kann eben nicht an alles denken," wiederholte ich mich.
"Keine private Finanzierung, jede Menge Pleiten und dann die Flugrouten über der Stadt," die 'B.Z.' konnte es einfach nicht auf sich beruhen lassen, "warum sollen die sicherer sein als ein Flughafen in der Stadt? Wurde nicht deshalb außerhalb geplant? Keine Flüge über dem Stadtgebiet?"
"Ich sag doch: ..."
"Dann haben sie noch diesen Islamisten als Sicherheitsmann eingestellt."
"Vielleicht um die Reisenden für den Flug mit kostenlosen Koran-Ausgaben zu versorgen?" mutmaßte der Heinz.
"So schlimm ist es nun wirklich nicht," wandte ich ein, "die Bauarbeiten in Mitte kommen jedenfalls gut voran."
Der Heinz grinste: "Du meinst die Legoland-Version im Sony-Center?"
"In Echt ist der sicherheitstechnisch wichtigste Teil aber auch schon fertig!"
Damit hatte ich aller Aufmerksamkeit.
"Na das Abschiebeknast. Noch kommt zwar keiner an, aber ohne Papiere kann er schon mal weggesperrt werden. Und in einem Gefängnis direkt am Flughafen würden Anschläge dort zur Selbsterfahrung."
Der Heinz schüttelte den Kopf: "Ich hab gelesen, Sprachwissenschaftler sollen sich grad mit der Entwicklung eines Futur drei beschäftigen, um sinnvolle Gespräche über den Flughafen zu ermöglichen."
"Futur drei?" fragte Mellie.
"Eins beschreibt die Zukunft, das zweite Dinge, die zu einem fixen Zeitpunkt in der Zukunft abgeschlossen sein werden. Drei soll jetzt Ereignisse beschreiben, die zu einem fixen Zeitpunkt in der Zukunft hätten fertig sein sollen, von denen aber jetzt schon klar ist, dass sie das nicht sein werden, und dass sie sich hinziehen, bis nicht mehr sicher ist, ob sie überhaupt jemals abgeschlossen werden können."
"Das ist nicht witzig," sagte die 'B.Z.'.
"Wieso nicht?" fragte der Heinz zurück, "je mehr Kapazitäten der Flughafen frisst, desto weniger bleibt für diese wilhelminische Stadtschlossmonstrosität übrig."
"Vergiss das Stadtschloss," schlug ich vor, "machen wir's wie die Pharaonen: Der Flughafen wird Wowereits Mausoleum."
"Wowereit als Schneewittchen in der Glaskiste?"
"Wäre Dir Lenin am Roten Platz lieber?"
"Kleinerer Mann, größere Kiste, "der Heinz rieb sich das Kinn: "Bis zu dessen Ableben könnten sie tatsächlich fertig werden. Mellie, kennst Du den alten 'Lufthansa-Cocktail'? Und leg 'From here to Eternity' auf."
"Och Heinz, blas Dich mal nicht so auf!"

15.07.12

looking for the summer

Die Ferienzeit begann genauso, wie die vorige abgelaufen war: die Autobahnen verstopft, der Nahverkehr blockiert und der Dauerregen subarktisch. Kurz gesagt: Alle wollten weg, aber niemand kam irgendwohin.
Prompt wurde meine nächste Telepathie-Sitzung bei Dr. Stout auch noch schnöde von Mellie unterbrochen: "Und warum ist das Deiner Meinung nach nicht der Beginn der Klimakatastrophe, Heinz?"
"Wegen des bisschen Regens? Sieh Dir mal London an. Die 'Times' spricht vom regenstärksten Frühjahr seit 1766. Denen werden noch die Raketenwerfer einrosten, die sie für Olympia auf die Dächer gestellt haben."
"Als Sportgeräte?" fragte ich.
"Quatsch, um Anschläge zu verhindern."
Genüsslich blies der Heinz mehr belastenden Feinstaub in den Raum: "Die Schlagzeile zu den Wasserspielen von London lautet: 'Just. Stop. Raining.' - als hätte die "Times" eine Direktverbindung."
"Siehst Du?" forderte Mellie Einsicht.
"Das hier ist doch noch kein Unwetter. In Japan fallen grad 11 Zentimeter Regen pro Stunde. Dort werden ganze Inseln evakuiert, während in Indien Hindu-Priester lebende Frösche mit Kurkuma würzen und traditionell verheiraten, um seit Jahren mal wieder Monsunregen zu kriegen."
"Ich kann mich nicht mal mehr erinnern", meinte Mellie angewidert, "wann wir das letzte Mal einen richtigen Sommer hatten."
"'Bild am Sonntag' behauptet, dass 65% der Deutschen noch an diesen Sommer glauben, zwischen 14 und 29 Jahren übrigens 75%. Du könntest Dich etwas altersgerechter verhalten."
"Durch den vielen Regen passen die Spreewald-Gurken kaum noch in die Gläser."
"Saure-Gurken-Zeit", grinste der Heinz, "also wenn Du Dich bloß langweilst..."
"Schön, dass das für Dich alles ein Witz ist, aber ich muss dringend in die Sonne, und wenn es nur für ein paar Tage ist."
"Hast Du nun Angst vor einer Klimakatastrophe oder nicht? Die hältst Du nämlich nicht damit auf, für einen Mallorca-Kurztrip dieselbe Menge Stickoxide in die Luft zu blasen, mit der Du über ein Jahr Autofahren könntest."
Der Heinz schüttelte den Kopf: "Worüber beschwerst Du Dich? Selbst in 'Villa Riba' regnet es, ich hab's in der Werbung gesehen, denen hilft's beim Spülen. Und während wir in 'Villa Bajo' weiter auf besseres Wetter warten, könntest Du mal 'it's raining again' aus dem Computer kramen und jedem einen heißen Grog machen."

29.06.12

eviva espana

Es war der Tag nachdem ein tief schwarzer Krieger mit kurzem, gelben Irokesen und italienischem Namen die deutsche Fußballnationalmannschaft mit Gewalt ins Nirwana geschossen hatte. Dreißig Grad brannten der Hauptstadt den Schweiß in den Beton. Die Ich-will-doch-nur-spielen-Patrioten schleppten die Überreste ihrer schwarz-rot-goldenen Überheblichkeit über den weichen, dampfenden Asphalt.
Weil ich noch nicht raushatte, wie sich das Spielergebnis auf die Preisgestaltung meiner Lieblings-Pizzeria auswirkte und es richtig heiß war, steuerte ich kühlen und neutralen Halbschatten an. Ich bestellte ein kaltes Schwarzes und folgte der Diskussion zwischen Bodo und dem Heinz.
"Wieso verdammte Italiener? Du wolltest keine Politik, Du wolltest keine Europa-Diskussion und keine über Menschenrechte. Wenn es also wirklich nur Fußball war, weshalb regst Du Dich dann so auf?"
"Du vaterlandsloser Geselle!"
"Bodo!" zischte Mellie.
Der Heinz stieß ein Rauchwölkchen aus: "Was erwartest Du von jemandem der Balla-Telli heisst? Außerdem stellen wir schon den Papst, Audi hat Lamborghini gekauft, die Märkte haben ihren Mini-Duce geschasst und La Merkel lässt sie nicht mit unserem Geld rumspielen." Der Heinz zuckte die Achseln: "Uns geht's doch bueno und da trägst Du Ihnen einen Sieg im Fußball nach?"
"Das alles hat doch gar nichts damit zu tun! Es ist doch nur Fußball"
"Eben. Nur Fußball."
Ich sah Mellies Verzweifelung und versuchte zu vermitteln: "Wir sind doch alle gute Verlierer, oder? Und gute Verlierer beklagen sich nicht. Wir kaufen nächsten Monat bloß alle kein Nutella, keinen Ferrari und keine Pizza mehr, auch nicht die aus dem original italienischen Steinofen von Dr. Oetker.
Und weil von uns wirklich niemand nachtragend ist, trinken wir jetzt alle einen Veterano und Mellie legt 'eviva espana' auf."
Der Heinz schüttelte den Kopf: "Bei deutschen Schlagern passe ich. Zahlen bitte!"